Schroff ragen die Zähne der Dientes de Navarino in den Himmel
Schroff ragen die Zähne der Dientes de Navarino in den Himmel

Abenteuer am südlichen Ende der Welt

von Bettina Lendi

Verschlafen reibe ich mir die Augen. Ich schäle mich aus dem Schlafsack und öffne den Reissverschluss unseres Zeltes. Die fast spiegelglatte Laguna de los Dientes glitzert unschuldig im Morgenlicht – der Blick ist atemberaubend. Wir sind weit und breit die einzigen Menschen in dieser Wildnis und in jede Richtung zwei lange Tagesmärsche von der nächsten Siedlung entfernt. Ein schöneres Erwachen kann man sich kaum vorstellen. Und nichts deutet mehr auf die Naturgewalten hin, gegen die wir am Abend zuvor kämpften. 

Nach einer langen und einsamen Wanderung über Stock und Stein sind wir am Vorabend auf die Südseite der Isla Navarino gelangt. Plötzlich ziehen Wolken auf und ein böiger Wind beginnt zu wehen. Im Schutz eines Felsbrockens versuchen wir, unser Zelt am Ufer der Laguna de los Dientes aufzustellen. Der starke Wind rupft uns die Planen immer wieder aus den Händen und der See kräuselt sich zu unheimlichen Schaumkronen. Kaum ist alles verankert und mit schweren Steinen beschwert, erwartet uns die nächste Herausforderung: das Kochen! Mit Steinen bauen wir eine Nische, und unter den Fels geduckt gelingt es uns endlich, zwischen zwei Böen den Kocher anzuwerfen. Bald darauf entschädigt uns eine Portion feine Nudeln und eine Tasse Tee für die Strapazen des Tages. Der Wind peitscht immer noch unentwegt dröhnend über die wilde Landschaft. Wir kriechen schliesslich ins Zelt und fragen uns, ob der feine Stoff des Zeltes wohl der Kraft der Natur standhalten wird.

Patagonien, das wilde Land der Gauchos, Granittürme und Gletscher, war schon immer ein Traumziel von mir. Ein Traum, den ich mir vor zehn Jahren erstmals verwirklichte. Damals trekkte ich um das gewaltige Torres del Paine-Massiv und war ein paar Tage mit Rucksack und Zelt am Fuss von Fitz Roy und Cerro Torre unterwegs. Eine fantastische Reise!

Seither haben mich die Erinnerungen an die eindrücklichen Wanderungen bei wechselndem Wind und Wetter, die Bilder von einsam grasenden Guanacos und die Sehnsucht nach den Farben der Pampa nie ganz losgelassen.

Und so kam es, dass ich letzten November abermals an den untersten Zipfel Lateinamerikas flog, um das südlichste Trekking der Welt unter die Füsse zu nehmen: Die Umrundung der bizarren Dientes de Navarino. Ein vier- bis fünftägiges Trekking, das wegen seiner Abgeschiedenheit, der ursprünglichen Landschaft und des unberechenbaren Klimas als eines der letzten grossen Abenteuer der Welt gilt.

»Seither haben mich die Erinnerungen an die eindrücklichen Wanderungen bei wechselndem Wind und Wetter, die Bilder von einsam grasenden Guanacos und die Sehnsucht nach den Farben der Pampa nie ganz losgelassen.«

Die Isla Navarino hat eine Fläche von etwa 2500 Quadratkilometern und liegt im chilenischen Teil Feuerlands am Südufer des Beagle-Kanals. Im Norden der Insel befindet sich die Stadt Puerto Williams mit rund 1800 Einwohnern. Viele davon gehören der chilenischen Armee an, die hier einen ihrer äussersten Posten markiert. Der Ort bietet mit ein paar Hotels, einfachen Restaurants und einigen kleinen Supermärkten die einzige touristische Infrastruktur der Insel. Die Berge auf der Insel erreichen 1180 Meter Höhe und einige, wie die bizarren Zähne der Dientes de Navarino, ragen felsig und schroff aus der bewaldeten Landschaft.

Seit der Aussetzung der Biber in den 1950er Jahren haben diese einen Teil der Insel erobert. Für ihre Dammbauten fällen sie zahlreiche Bäume, setzen ganze Landstriche unter Wasser und sorgen dafür, dass sich die Landschaft und die Flussläufe stetig ändern. Einige Naturschutzbewegungen fordern die Dezimierung der Population, da sie das Ökosystem der ganzen Insel gefährdet sehen. Für uns bieten die Biber jedoch spannende Begegnungen und herausfordernde Gleichgewichts- und Wegfindungsübungen. Täglich balancieren wir über Biberdämme und suchen uns den einfachsten und trockensten Weg durch die Sümpfe. Abends in der Dämmerung beobachten wir die scheuen Nager bei ihren Aktivitäten.

Bis auf das «stürmische» Erlebnis am zweiten Trekkingtag haben wir riesiges Wetterglück. Die Regenjacke kommt in den fünf Tagen nur ein einziges Mal für einen kurzen Graupelregen zum Einsatz. So verbringen wir den für Wetterumstürze eingeplante Reservetag mit einem Spaziergang entlang der wilden Küste ins verschlafene Örtchen Puerto Williams. Am nächsten Tag fliegen wir nach Punta Arenas aufs chilenische Festland. Das gute Flugwetter beschert uns einen wunderbaren letzten Blick auf die ganze Inselwelt. Ich bilde mir ein, in der Ferne den grossen Felsen an der Laguna de los Dientes zu erkennen. Und das Bild des glitzernden Wassers an jenem Morgen begleitet mich auf dem Weg zurück in die Zivilisation.

Autorin dieses Textes ist die passionierte Trekkerin und langjährige Globotrek Mitarbeitern, Bettina Lendi.

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