Buchempfehlungen: Das lesen unsere Expert*innen
Kennen Sie folgenden Moment? Sie sind im Zug unterwegs, sehen andere Menschen beim Lesen und schielen auf deren Buchdeckel? Wir finden es äusserst spannend und inspirierend, was andere Menschen lesen.
Darum schielen wir ab sofort auf die Buchdeckel von unseren Expert*innen. Wir fragen sie nach Buchempfehlungen respektive nach ihren Lieblingsbüchern. Ihre Antworten teilen wir mit Ihnen auf dieser Seite.
Pascal Nufer
Yellowface
von Rebecca F. Kuang
Pascal Nufer: Selten hat mich ein Hauptcharakter eines Buches so lange gleichzeitig fasziniert, angeekelt und zu Mitleid gerührt, wie June Hayward im neusten Roman von Rebecca F. Kuang. Der Bestseller-Roman der sino-chinesischen Autorin hat Tiefe und viel Drive. Die 28-jährige Amerikanerin mit chinesischen Wurzeln schreibt über Rassismus, Neid, Gier und Anerkennungssucht und dies in einer Art, bei der man sich als Leser immer wieder selbst bei Verharmlosungsversuchen derselben ertappt.
Athena Liu ist schön, gescheit, erfolgreich und der neue Shootingstar der amerikanischen Literaturszene – und sie ist Asiatin. Ihre Kommilitonin June Hayward hingegen ist weiss, erfolglos und furchtbar neidisch auf ihr grosses Idol.
Als der Shooting-Star der Literaturszene einen überraschenden und grotesken Tod stirbt, wittert June ihre grosse Chance: Sie stiehlt das unveröffentlichte Manuskript der Bestseller-Autorin, redigiert und beendet es – und landet ihren ersten Hit. Gleichzeitig beginnt ein Kampf zwischen Lügen und Rechtfertigung, Selbstzweifel und einer bitterbösen Abrechnung mit der Literaturbranche.
Beinahe nebenbei entsteht durch die Geschichte der beiden Protagonistinnen auch ein kritischer Blick auf den wachsenden amerikanischen Rassismus gegen Asiat*innen.
Jackie Helfenberger
Frauenwunderland
von Barbara Achermann
Jackie Helfenberger: Das Buch der stv. Chefredaktorin «Magazin» erzählt die inspirierende Geschichte von Ruandas Wiederaufbau, der vor allem durch die Kraft und den Mut seiner Frauen möglich wurde.
Vor zwanzig Jahren waren sie nahezu rechtlos, heute prägen sie das Land: Sie stellen die Mehrheit im Parlament und führen über die Hälfte der Unternehmen. Ohne ihren unermüdlichen Einsatz wäre Ruandas rasantes Wirtschaftswachstum und gesellschaftlicher Wandel undenkbar.
Im Mittelpunkt stehen beeindruckende Frauenportraits, die zeigen, wie sie ihr Land aus den Trümmern des Völkermords im Jahr 1994 zu neuem Leben führten. Das Buch öffnet den Blick für ein starkes, zukunftsweisendes Afrika.
Urs Allenspach
Die Schuldigen von Rotten Row
von Petina Gappah
Urs Allenspach: Rotten Row ist eine Strasse westlich des Stadtzentrums in Zimbabwes Hauptstadt Harare. In zwanzig Kurzgeschichten schildert Petina Gappah das quirlige City-Leben in mächtigen, frechen, witzigen und empathischen Worten. Die Spannungen in und zwischen den Stadtbewohner*innen führen zu diversen Konflikten und Straftaten, welche in der Folge im Gericht am Rotten Row verhandelt werden müssen.
Das Schicksal des seit Jahren leidenden Staates und die traurigen Erfahrungen der Bevölkerung spiegeln sich in diesen in sich verknüpften Geschichten wider. Sie deuten zwar ein gemeinsames Erbe an, schildern wie die Frauen ein Auseinanderdriften der Familien und der Gesellschaft zu verlangsamen suchen, zeigen aber trotz nach aussen getragener Lebensfreude auch eine allgemeine Ermüdung und Ernüchterung auf.
Claudio Rossetti
Ein Traum wird wahr. Nach Venedig auf Wasserwegen
von Claudio Rossetti
Claudio Rossetti: Zweifellos lese ich sehr gerne, besonders über Reisen und Kulturen aus nah und fern. Mein Lieblingsbuch ist jedoch mein eigenes Werk über die historische Wasserstrasse von Locarno nach Venedig, auf das ich besonders stolz bin.
Schon von klein auf träumte ich davon, auf dem Wasserweg von den Alpen bis zum Meer zu gelangen. Damals hatte ich mir ein ungewöhnliches Boot ausgedacht: ein Floss mit einem Bretterboden, getragen von sechs Fässern. Ich war etwa zehn Jahre alt. Von diesem Projekt blieb schliesslich nur eine Zeichnung auf einem alten Blatt Papier, das inzwischen irgendwo verloren gegangen ist. Mit der Zeit habe ich meinen Traum von der Flussschifffahrt aus den Augen verloren.
Erst 2007, auf meiner ersten Reise von Locarno nach Venedig, erinnerte ich mich wieder daran. Gemeinsam mit einem Fotografen unternahm ich diese Reise auf einem Fischerboot namens «Utopia» bis zur Serenissima, um dort den Bürgermeister und Philosophen Massimo Cacciari zu treffen. Seitdem sind einige Jahre vergangen, doch meine Leidenschaft für Flüsse und ihre Strömungen ist geblieben.
Ein Wassertropfen benötigt etwa neuneinhalb Wochen, um von der Quelle des Ticino bis zur venezianischen Lagune zu gelangen. Einen Tropfen bis ins Meer zu bringen, ist voller Symbolik und trägt doch nur eine Botschaft: Auf einem Weg voller symbolischer Bedeutung gilt es, zahlreiche architektonische und mentale Barrieren zu überwinden.
Rudolf Hug
Tiergeschichten aus aller Welt (Band 3)
von Rudolf Hug
Rudolf Hug: Ein trockener Text berührt und bewegt niemanden. Geschichten dagegen schon. Geschichten sind die älteste Form des Austauschs von Erfahrungen, Emotionen und Informationen. Erst recht, wenn sie anschaulich illustriert sind, denn Bilder sagen mehr als tausend Worte.
Auf meinen Reisen erzähle ich als «Bettmümpfeli» jeweils eine oder auch zwei solcher Geschichten, passend zum Erlebten, manchmal auch um Sehnsucht zu wecken. Die Reaktionen meiner Gäste zeigen mir jeweils, dass sie von den Geschichten berührt und bewegt sind.
In «Tiergeschichten aus aller Welt», Band 3, sind 26 Geschichten zusammengefasst. Ergänzt mit Bildern der Landschaften und vielen Details. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen, oder machen Sie anderen eine Freude, indem Sie ein Buch verschenken oder die Geschichten erzählen und so für die Schönheiten der Natur begeistern.
Birgit Lutz
Die Expedition.
Eine Liebesgeschichte (2016) von Bea Uusma
Birgit Lutz: Die Andrée-Expedition ist eine meiner arktischen Lieblingsgeschichten. Weil sie alles hat: Spannung, Entdeckergeist, eine Prise Verrücktheit, Mysterium, und obendrauf auch noch eine ganz und gar phänomenale Liebesgeschichte.
Es ist die Geschichte eines grossen Rätsels im ewigen Eis: Drei Männer aus Stockholm, die mit einem Heissluftballon auf dem Weg zum Nordpol verschwinden. Die Reste ihres Lagers werden 33 Jahre später gefunden, eingefroren auf einer unbewohnten Insel mitten im Eismeer.
Was ist damals geschehen? Bea Uusma vergräbt sich in alle Spuren dieser tragischen Unternehmung, analysiert Tagebücher, forscht in Archiven, wird immer besessener, weil sie überzeugt ist: Die Lösung des Rätsels liegt vor ihr, sie muss sie nur sehen.
Christian Wenker
Eine Nacht in Bari (2010)
von Gianrico Carofiglio
Christian Wenker: Es ist eine Liebeserklärung meines Lieblingsschriftstellers an seine Heimat. Beklemmend, gleichzeitig wunderschön!
Heidi Tagliavini
Steinträume (2012)
von Akram Aylisli
Heidi Tagliavini: Eine Novelle, die aktueller nicht sein könnte. In «Steinträume» (2012) beschreibt der aserbaidschanische Schriftsteller Akram Aylisli eine Menschenjagd auf einen Armenier mitten in der Stadt Baku. Beim Versuch, dem Gejagten zu Hilfe zu kommen, wird Sadai Sadygly, ein aserbaidschanischer Schauspieler, selbst so schwer verletzt, dass er tagelang zwischen Leben und Tod schwebt. Im Krankenhaus liegend erinnert er sich an seine Jugend, als in seinem Dorf Aylis, in der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan, Armenier und Aseri noch friedlich miteinander lebten. Dieser Roman ist ein Zeugnis der jahrzehntelangen Unversöhnlichkeit und dem scheinbar unüberbrückbaren Hass zwischen Aseri und Armeniern, die gerade eben erst mit der Eroberung der aserbaidschanischen Enklave Bergkarabach durch Aserbaidschan und der Vertreibung der dort lebenden Armenier einen neuen tragischen Höhepunkt erreicht hat.
Am Beispiel dieser Novelle zeigt sich exemplarisch, wie aus längst vergangenen, politisch kontroversen Grenzziehungen, schier unlösbare Konflikte entstehen, die lange über die Zeit hinaus verheerende Wirkungen haben können.
Nach der Veröffentlichung des Buches (2012) wurde der Autor Aylisli als Feind Aserbaidschans verfolgt und in seinem Land geächtet, seine Bücher wurden verbrannt und all seine Auszeichnungen wurden ihm aberkannt.
Thomas Fisler
Das Herzenhören (2002)
von Jan-Philipp Sendker
Thomas Fisler: Eine Liebesgeschichte unserer Zeit mit einer Handlung, die die Schönheiten von Myanmar hervorragend schildert.
Die Suche nach ihrem vermissten Vater führt Julia Win von New York nach Myanmar. Dank einem vierzig Jahre alten Liebesbrief ihres Vaters an eine unbekannte Frau reist sie nach Kalaw, einem kleinen Bergdorf. Hier findet sie nicht nur einen Bruder, von dem sie nichts wusste, sondern stösst auch auf ein Familiengeheimnis, das ihr Leben für immer verändert ...
Der Roman ist hervorragend erzählt, fast poetisch, und ohne Gefahr zu laufen, in Kitsch abzudriften. «Das Herzenhören» ist der erste Roman des deutschen Schriftstellers und Journalisten Jan-Philipp Sendker. Der Bestseller wurde 2012 fortgesetzt mit «Herzenstimmen». Ein an sich riskantes Wagnis, das ihm aber ebenfalls gelungen ist.
Wilfried König
Der stille Amerikaner (1955)
von Graham Greene
Wilfried König: Spannend wie ein Krimi gibt das Buch Einblicke in die Geschichte Vietnams und in die menschlich Psyche in Konfliktsituationen.
Saigon Anfang der 1950er Jahre. Thomas Fowler, ein vom Älterwerden desillusionierter, zynischer, gleichwohl sympathischer, englischer Journalist berichtet aus Südvietnam über die verworrene Situation des noch nicht erfolgten Abzugs der Franzosen und des Erstarkens der patriotisch-kommunistischen Vietminh.
Fowler, dessen in England lebende Frau sich nicht von ihm scheiden lassen will, lebt mit Phuong, einer jungen Vietnamesin zusammen, als er auf den Amerikaner Pyle trifft. Der ist angeblich für eine humanitäre Organisation im Land, tatsächlich will er jedoch eine «fünfte Kolonne» aufbauen, um durch Bombenattentate, die den Vietminh in die Schuhe geschoben werden, für Unruhe zu sorgen.
Pyle, der sich mit Fowler anfreundet, verliebt sich in Phuong, die Sicherheit sucht und auf dessen Werben eingeht. Fowler ist am Boden zerstört und nimmt den Vorschlag eines ihm bekannten Vietminh Agenten an, eine Lösung zu finden.