«Ueli Gurtner wird nicht einknicken»

 |  Hintergrund

Thomas Kolly war während drei Jahren Schweizer Botschafter in Guatemala und hat hautnah miterlebt, wie der Kaffeehändler Ueli Gurtner von der Justiz drangsaliert wird. Kolly erklärt die Hintergründe des Konflikts, spricht über seine Frustration und über seine Pläne als Reiseleiter.

von Raphael Amstutz, freischaffender Journalist


Im Juni letzten Jahres ist der Schweizer Ueli Gurtner in Guatemala-Stadt wieder verhaftet worden. Nicht das erste Mal. Einmal war Gurtner bereits für fünf Monate im Gefängnis. Die Vorwürfe: Zuerst Geldwäscherei. Nun Steuerdelikte.

Wer ist dieser Mann? Und wie ist die Situation zu bewerten?

Thomas Kolly, von 2010 bis 2013 Schweizer Botschafter in Guatemala und heute unter anderem Reiseleiter bei Background Tours, hat eine klare Meinung: «Die Vorwürfe sind konstruiert. Ueli Gurtner ist unschuldig.»

Gurtner, ein Winterthurer Unternehmer, arbeitet seit nunmehr Jahrzehnten als Kaffeehändler in Guatemala. Er hat in den 80er-Jahren die Kaffeekooperative Fedecocagua saniert und wiederbelebt, unter deren Dach heute mehr als 20'000 Familien, also über 100'000 Menschen, ein Auskommen haben. Die Genossenschaft befreit die Kaffeebauern von ihrer Abhängigkeit von sogenannten Kaffee-Oligarchen, die korrupt sind und die Preise drücken. «Gurtner ist erfolgreich», so Kolly. «Er hat die Kooperative zum zweitgrössten Kaffee-Exporteur Guatemalas gemacht, und das stört natürlich.»

Kolly ist während seiner Zeit in Guatemala zu einem Freund Gurtners geworden und hält bis heute engen Kontakt zum bald 70-Jährigen. Noch immer sei keine offizielle Anklage erfolgt, sagt Kolly. Mehrmals habe die Staatsanwaltschaft angekündigt, Begründungen zu liefern. «Jedes Mal wurden die Termine kurzfristig abgesagt», so der ehemalige Botschafter. Er ist überzeugt: «Es ist kein Fleisch am Knochen der Anklage. Es geht einzig darum, einem Mann, der sich gegen die traditionelle Macht aus Politik, Wirtschaft und Militär stellt und erst noch erfolgreich ist, Knebel in die Speichen zu werfen. Angst und Neid sind die Treiber.»

Neben dem massiven Druck, den Gurtner persönlich ertragen muss, leidet auch die lokale Be- völkerung. «Da die Bankkonten der Genossenschaft blockiert sind, kann die Ernte nicht mehr im gewohnten Umfang vor- finanziert werden», so Kolly. Zahlungen seien nur noch in der Höhe von 10 Prozent des üblichen Betrags möglich, ein Desaster für die Landwirt*innen. Sie würden versuchen, sich mit Direktver- käufen an die Kaffeehändler über Wasser zu halten. Doch es gäbe keine garantierten Preise, keinen Schutz. «Es wird für sie immer noch härter», weiss Kolly.

Es ist nicht einfach für Kolly, aus der Ferne zusehen und aushalten zu müssen, in welcher Weise Ueli Gurtner behandelt wird. Seine Interventionsmöglichkeiten schöpft er aus – er hat Bundesrat Ignazio Cassis informiert und ist im Austausch mit dem derzeitigen Botschafter in Guatemala. «Dass die Rechtsstaatlichkeit in einem Land nicht garantiert ist, ist für uns Schweizer*innen ungewohnt», so Kolly. Alles sei in Guatemala käuflich; für 50 Dollar auch ein Auftragsmörder. Und: «Korruption ist leider nicht die Ausnahme, sondern der Normalfall.»

Mit Blick auf seine Botschaftertätigkeit sagt Kolly, dass es frustrierend gewesen sei, keine griffigen Hebel gegen die empfundene Willkür und Ungerechtigkeit in einem Land gehabt zu haben. Trotzdem sei es ihm wichtig gewesen, immer und immer wieder die Prinzipien und Säulen der Schweiz darzulegen. «Dank starken, nicht korrumpierten Institutionen, funktionierenden Gerichten, einer strikten Gewaltenteilung und einer gut ausgebauten direkten Demokratie haben wir es als rohstoffarmes und kleines Land geschafft, zu einem der reichsten der Welt zu werden», so Kolly. Er habe als Botschafter den Menschen zeigen wollen, dass sich diese Werte lohnen.

«Es geht einzig darum, einem Mann, der sich gegen die traditionelle Macht aus Politik, Wirtschaft und Militär stellt und erst noch erfolgreich ist, Knebel in die Speichen zu werfen.»

Dass Ueli Gurtner mürbe gemacht wird und aufgibt, daran glaubt Thomas Kolly nicht: «Ich habe selten einen so aufrechten, unkäuflichen und prinzipientreuen Menschen erlebt. Ueli wird nicht einknicken.»

Gurtner hätte die Chance, «seine» Landwirt*innen auf die Strasse zu schicken, sie protestieren zu lassen. «Ueli will das aber nicht», weiss Kolly. Gurtner sei überzeugt, dass ein aggressives Vorgehen nichts bringe. Aus der Distanz seien die Möglichkeiten beschränkt, so Kolly. Was helfe, sei Sichtbarkeit. Zum Beispiel ein Artikel wie dieser hier. Denn die Mächtigen in Guatemala hätten Angst davor, in Europa und den USA schlecht wahrgenommen zu werden.

35 Jahre in der Diplomatie und unzählige bereiste Länder haben den gebürtigen Luzerner geprägt. «Ich wurde reich beschenkt», sagt er und weiss von jedem seiner Arbeitsorte unzählige Anekdoten zu erzählen. Gleichzeitig ist er sich bewusst: «Für diese Art von Leben muss man der Typ sein. Ich mag das sehr. Das Reisen, das Unbekannte, die ständig neuen Umstände, die Improvisation, die nötig ist.»

Dass das Reisen aus ökologischer Sicht eine zwiespältige Sache sein kann, ist dem studierten Juristen bewusst – nicht zuletzt auch wegen seiner früheren Tätigkeit als Leiter des Schweizer Teams in den internationalen Klimaverhandlungen. «Es ist wichtig, dass wir ein Bewusstsein für unsere Taten und die Folgen entwickeln, mit den Ressourcen verantwortungs- und respektvoll umgehen, die richtigen Schlüsse ziehen und dann auch Taten folgen lassen.»

Auch nach der Pensionierung ist Thomas Kolly ein vielbeschäftigter Mensch. So verantwortet er das jährliche Internationale Opernfestival Pristina mit, wird diesen August in der Kantine der Schweizergarde im Vatikan mithelfen – Kolly war 1979 selber einige Monate als Gardist im Einsatz – und arbeitet in einem Projekt zur Förderung von Sonnenenergie im Westbalkan mit.

Auch als Experte für Background Tours wird Thomas Kolly weiter tätig sein. Nachdem er eine Reise durch den Westbalkan begleitet hat, gleist er neue Destinationen auf. Dieser Tage fährt er nach Spanien zu einem Freund und wird Wein-, Gastronomie-, Politik- und Kulturreisen besprechen. Weitere Ziele sind im nächsten Jahr Pakistan und natürlich Guatemala; ein Land, dem sich Kolly in besonderer Weise verbunden fühlt und für das er «bis heute Herzblut vergiesst.» Gerade auch wegen Ueli Gurtner. Für ihn hofft Kolly das Beste. Doch er sagt auch: «Eine Prognose ist schlicht nicht möglich.»


Zur Person

Thomas Kolly ist 65 Jahre alt, pensioniert und wohnt im Kanton Luzern. Man trifft ihn oft auch in Bern an, wo seine drei Kinder und seine fünf Enkelkinder daheim sind. Er wuchs als Zimmermannssohn mit drei Geschwistern im luzernischen Pfeffikon auf. Sein Berufsbildner riet ihm seinerzeit, Pfarrer oder Diplomat zu werden. Letzteres war Thomas Kolly mit Leib und Seele: Vor seinen drei Jahren im Kosovo war er als Botschafter in Pakistan und Afghanistan, Spanien, Guatemala, Honduras und El Salvador tätig. Weitere Meilensteine in seiner Karriere sind die Zeit als Leiter des Schweizer Teams in den internationalen Klimaverhandlungen und davor als Mitglied der Schweizer Verhandlungsequipe, die die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU aushandelt.