Sylvia Furrer und Holger Hoffmann sind seit Langem fasziniert vom Leben indigener Völker. Immer wieder reist das abenteuerlustige Paar in die entlegensten Regionen der Erde, um mehr über Leben und Kultur dieser Menschen zu erfahren. Beim Dschungeltrekking zu den Korowai in Westneuguinea erleben die beiden eine besondere Überraschung. Die ungekürzte Reportage finden Sie im Globetrotter-Magazin Nr. 152 (Winter 2025).

Delikatessen – Im Dschungel von Westneuguinea
Ohne Proviant
Der Schlaf im Zelt am Fusse des Baumhauses kommt erst, als sich meine Ohren an das Konzert des Regenwaldes gewöhnt haben. Mit der Hoffnung, dass es zum Frühstück gebratene Bananen gibt, schlafe ich schliesslich ein. Seit fünf Tagen sind Holger und ich in den Sümpfen des Tieflandes von Westneuguinea – dem indonesischen Teil der Insel Neuguinea – unterwegs. Mit unseren Begleitern wandern wir von einer Waldlichtung zur nächsten, um den Alltag der Korowai in ihren auf der Welt einzigartigen Baumhäusern kennenzulernen. […] Unsere Begleitmannschaft trägt die Nahrungsmittel für die ganze Zeit mit, denn im Dschungel unterwegs gibt es nichts zu kaufen. Die Korowai ernähren sich hauptsächlich von Sago, das aus dem Mark der Sagopalme gewonnen wird. Und dem, was der Regenwald sonst noch an Tieren, Wurzeln und Früchten hergibt.
Am nächsten Morgen keine Spur mehr von den mitgebrachten Bananen. Sie sind weg. Und meine Enttäuschung gross. Usman sagt, dass unsere Truppe mit den Gastgebern sämtlichen Proviant gegessen habe. Die Menschen hier haben ganz andere Vorstellungen von Vorratshaltung als wir. Hat es Essen, wird alles aufgegessen, und zwar sofort. Denn Morgen kann es verfault, von Tieren wie Ameisen oder Würmern befallen oder von Familienmitgliedern «ausgeliehen» worden sein. Und jetzt? Wovon sollen wir uns die nächsten Tage ernähren? Kein Problem, sagt unser Guide, drei unserer Begleiter seien bereits in der Nacht wieder nach Basman aufgebrochen und würden, wenn alles gut geht, morgen mit Nachschub zurück sein.

Sagoernte
Der Clan, bestehend aus drei Familien, nimmt uns […] zur wöchentlichen Sagogewinnung mit. Einer der Männer trägt eine Steinaxt, der andere Pfeil und Bogen. Die Frauen tragen selbst geflochtene Netze, die sie sich um die Stirn hängen. Darin transportieren sie ihre Babys oder Werkzeug. Mit einem Schlag in den Stamm wird getestet, welche Palme bereit zur Ernte ist. Eine reife Sagopalme ist zwischen sieben und neun Jahre alt. Als die richtige Palme gefunden ist, macht sich einer der Männer an die Arbeit. Der Steinkeil der Axt löst sich gelegentlich vom Stiel und muss wieder mit Rattan fixiert werden. Wer es sich leisten kann, benutzt eine Metallaxt. Dann fällt die Palme in der vorgesehenen Richtung. Als Erstes wird das Palmherz herausgeschält: ein schneeweisser, etwa eineinhalb Meter langer Zylinder. Sofort stecken sich die Frauen Brocken davon in den Mund. Holger und ich schauen neugierig zu. Als wir von den angebotenen Stücken zuerst vorsichtig und dann begeistert essen, freuen sich alle. Das frische Sagomark schmeckt wunderbar frisch und zart.
Nun geht es an die Gewinnung von Sago, einer Art Mehl, das aus dem Stamm der Sagopalme hergestellt wird. Zwei grosse Stücke der Rinde werden auf vor Ort konstruierten Gestellen zu langen, abschüssigen Trögen aufgestellt. Grosse Palmblätter spenden etwas Schatten für die hart arbeitenden Frauen. Mit Geräten hacken sie auf den aufgebrochenen Stamm ein. Die entstandenen Schnipsel werden in die Tröge gegeben. Sauberes, in der Nähe sprudelndes Wasser wird mit aus Blättern geformten Schüsseln dazugeschüttet. Jetzt wird die Masse von Hand gepresst, und das Sagomehl wird ausgeschwemmt. Am unteren Teil des Troges sitzt ein Sieb aus getrockneten Flechten: Das Wasser läuft ab, das Mehl bleibt zurück. Sobald sich mehrere Kilos davon angesammelt haben, wird der Mehlkloss in Blätter gewickelt und in ein Netz gelegt. Auch der unterste Teil des Palmenstammes wird zur Nahrungsmittelgewinnung genutzt, indem die Korowai Löcher hineinbohren. Sie sind eine Einladung für den Rüsselkäfer, seine Eier dort abzulegen. Nach einigen Wochen sind daraus Larven gewachsen, die von den Korowai heiss geliebt werden. Diese Sagowürmer sind der wichtigste Eiweisslieferant im Dschungel.
Omelett
Der Vorrat an Sago für die nächste Woche wird von den Frauen in Netzen ins Baumhaus hochgetragen. Sie steigen dabei flink den Baumstamm hoch und runter. Ich möchte es ihnen gleichtun. Schon beim Gedanken daran habe ich ein mulmiges Gefühl. Zum Glück hat Holger für diesen Zweck ein Seil mit Sicherungsgerät und Klettergurt eingepackt. Im Baumhaus oben gibt es eine Feuerstelle. Sie ist so geschickt konstruiert, dass sie im Brandfall sofort gelöst werden kann und herunterfällt. Die Frauen braten ein Sagoomelett, und in ein Blatt eingewickelt wird eine Buah Merah gedämpft, eine längliche rote Frucht, die die Kinder nachher gemeinsam aus einem Blattteller verspeisen. Es ist ein Anblick wie bei uns, wenn Kinder Spaghetti mit Tomatensauce essen, nur ohne Besteck.
Für unser Nachtessen fallen Krebse und Fische aus. Die Reuse blieb leer. Aber unser Koch gibt sein Bestes. Mit Knoblauch, Ingwer und Chili brät er die fetten, schwarzköpfigen Sagowürmer und tischt sie uns auf. Holger hat Usman verraten, dass ich heute Geburtstag habe. Dazu gibt es einen lokalen Brauch, verrät ihm Usman daraufhin: Holger müsse mich – das Geburtstagskind – füttern und damit zeigen, dass er mich ernähren könne. Genüsslich streckt Holger mir einen knackig gebratenen, einem Pirelli Mann ähnelnden Sagowurm entgegen. Alle Augen sind auf mich gerichtet. Wie soll ich mich verhalten? Ganz einfach: Mund auf und runter. So als Ganzes will der Wurm aber nicht runter, also beisse ich darauf. Der Kopf ist knusprig und der Körper saftig. Das genügt für heute. […] Als am nächsten Morgen die losgeschickten Männer mit Nahrungsvorräten von Basman zurückkommen, spüre ich eine leise Enttäuschung: Sagowürmer werden auch für uns eine Rarität und eine Delikatesse bleiben.
Über Sylvia und Holger
Sylvia Furrer und Holger Hoffmann aus Bern besuchten die Korowai zweimal. Schon 1987 waren sie im Hochland von Westneuguinea zu Fuss zu den Dani und Yali unterwegs. Sie lieben das Trekken im Regenwald, egal auf welchem Kontinent.
Mehr erfahren:
www.chaostours.ch

Seit 1982 lässt das Globetrotter Magazin die Herzen von Weltentdecker*innen mit einzigartigen Reisereportagen höherschlagen. Die Geschichten sind authentische Berichte ungebrochener Reiselust und unstillbarer Neugierde auf fremde Destinationen, Kulturen und Menschen. Deshalb sind viele Autor*innen in erster Linie Reisende – und erst danach Schreibende, die ihre ganz persönliche Reisegeschichte weitererzählen möchten.
Das Globetrotter-Magazin erscheint viermal im Jahr mit spannenden Reisereportagen aus aller Welt, Interviews, Tipps, News und Annoncen. Es kann unter www.globetrottermagazin.ch im Abo bequem nach Hause bestellt oder an ausgewählten Kiosken gekauft werden. Beim Jahresabo für 40 Franken ist die Globetrotter-Card dabei, mit der Sie von diversen Vergünstigungen profitieren können.

