Stilbewusste Gipfelstürmer. Rudolf Scheurer, Alfred Ingold, Ernst Furrer und Jules Furrer (von links) posieren im Sommer 1920 vor dem Matterhorn. ©Daniela Ingold
Stilbewusste Gipfelstürmer. Rudolf Scheurer, Alfred Ingold, Ernst Furrer und Jules Furrer (von links) posieren im Sommer 1920 vor dem Matterhorn. ©Daniela Ingold

Eine Reise ins Wallis vor über 100 Jahren

von Ernst Furrer, bearbeitet durch Fabian Sommer

Daniela Ingold hat einen echten Schatz geborgen: Die Solothurnerin fand bei ihrem Grossonkel mehrere über 100 Jahre alte Reiseberichte der Jassgruppe ihres Urgrossvaters Alfred Ingold. In einer langen Reportage dokumentiert Alfreds Schwager eine Reise von Lüterkofen ins Wallis anno 1920. Die Reportage, die wir hier in kurzen Auszügen wiedergeben, ist ein eindrückliches Zeitdokument, spannend und unterhaltsam.

Schon seit bald drei Wochen lag das Reiseprogramm fix und fertig vor: Kandersteg – Gemmi – Zermatt – Gornergrat – Grimsel – Meiringen in dreieinhalb Tagen. Indessen ist es halb sechs Uhr geworden. Blitzartig geht es nun durch das Bernbiet hinauf und bereits um halb sieben Uhr befindet man sich im Bern-Hauptbahnhof. Welche Menschenmenge, die da ihre Reiselust entfaltet! Alles strömt dem Schalter «Lötschberg» zu. In der letzten Sekunde und mit energischer Kraft schwingt man sich auf den elektrischen Lötschbergzug, der im Moment bereits den Bahnhof verlässt.

In Kandersteg gab es den ersten Halt, um sich gut einzurichten für den bevorstehenden Marsch. Auch für das leibliche Wohl zu sorgen, wurde nicht vergessen. Um 9.15 Uhr brach man wieder auf, und bereits unter gemütlichem und herrlichem Aufstieg traf man um 13.10 Uhr im Hotel Schwarenbach ein. Hier galt es wieder, dem Magen etwas zuzuführen. Auf der Passhöhe trafen wir herrliche Fernsicht: Vor uns direkt die Walliseralpen, welche wir zum ersten Mal zu Gesicht bekamen. Von ihnen ragten besonders das herrliche Matterhorn und die Monte-Rosa-Gruppe hervor. Auch nicht zu vergessen ist das Breithorn. Direkt vor uns – fast 1000 Meter senkrecht weiter unten in der Tiefe – liegt Leukerbad.

Es waren sieben Schläfer, die mit was für einem schweren Kopf aufstanden. Nun, beim Abstieg nach der Station Leuk, hat man sich gegenseitig verschworen, auf dieser Reise keinen Alkohol mehr zu trinken, d.h. wenigstens nicht über das landesübliche Mass hinaus. Bergab und immer bergab gings, bis man endlich um 11.15 Uhr in Leuk-Susten ankam. Von hier führte uns der Zug nach einer kleinen Rastpause nach Visp, und um 13.50 Uhr fuhren wir mit der Bergbahn unserem Ziele vom zweiten Tage, Zermatt, zu. Aber hört, hört, was das Billett für vier Mann nach Zermatt und zurück kostete: sage und schreibe einhundertvier Franken vierzig Centimes! Ich dachte bei mir, trotz unserer Versprechung, dass dies manchen guten Tropfen gäbe, und damit entleerte sich eben das Portemonnaie des Kassiers, man weiss nicht wie. Aber item, man wagt es, man ist nun einmal da, hiess es.


Um 2.30 Uhr schon tönt der Ruf «auf!». Das Wetter ist günstig, hiess es, nur lässt sich die Kälte ein wenig fühlen. Nach einem einfachen Morgenessen traf man die Vorbereitungen zur Besteigung des Breithornes. Mit Pickel und Laterne, an Seilen aneinandergebunden, gings um 3 Uhr von der Hütte weg auf den ewigen Schnee. Der Aufstieg war ziemlich lang, jedoch nicht gefährlich und auch nicht zu anstrengend. In dieser Zwischenzeit hatten wir auch das grossartige Naturereignis eines Lawinenniederganges mit eigenen Augen mitansehen können.

Mächtige Staubwolken vermischten sich mit gewaltigem Donnergrollen – unbeschreiblich! Punkt 7 Uhr erreichten wir die Höhe des Zermatter-Breithornes auf 4171 Meter über Meer. Eisige Kälte herrschte hier oben. Trotz allen guten Unterkleidern blies der Wind einem nur so durch die Hosen, das hiess es auch: «und durch die Hosen pfiff der Wind!»

Herrlich war die Fahrt durch das Oberwallis. Keiner von uns hätte sich diese Fahrt so vorgestellt. Man glaubte durch eine halbe Wildnis fahren zu müssen, hatte man doch schon tags zuvor verabredet, es biete sich dann auf dieser langen Bahnstrecke Gelegenheit in einem gemütlichen Jass die Zeit zu kürzen. Aber auch nicht einen einzigen Augenblick dachten wir während dieser Bergfahrt ans Kartenspiel, geschweige denn je eine Karte zur Hand genommen zu haben.

Beim Gletscherübergang und beim Aufstieg auf das Grätli konnten wir noch einmal die Bergriesen des Wallis, mit denen wir uns tags zuvor bekannt gemacht haben, beschauen. Weil die Zeit zu kurz bemessen, um den Zug in Meiringen zu erreichen, gings auf der Strecke von 5 km ob der Aareschlucht bis zu derselben per Kutsche. Um 16.45 Uhr langte man in Meiringen an. Die Zeit langte eben noch, um den grössten Durst zu stillen, und nachher gings dem Brienzer- und Thunersee entlang der Bundesstadt entgegen. Nachdem auch hier noch das leibliche Wohl befriedigt wurde, gings in feuchtfröhlicher Stimmung der Heimat zu. Es ertönten noch einige Weisen im Zuge, und ohne dass man es merkt, ruft bereits der Kondukteur «Loterkofen-Lühn». Nun hat wieder ein anderer das Wort. «Fertig, wär seit fertig, nüt isch fertig, I säg fertig, jetz isch fertig, fertig, abfahre!»

Der komplette Bericht von Ernst Furrer, verfasst am 22. Dezember 1920, steht auf folgender Webseite zum kostenlosen Download bereit: www.globetrottermagazin.ch/nostalgie/wallis


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