Es war einmal … beginnen Geschichten so, sind es Märchen. Aber nicht immer. Denn was wie eines klingt, ist eine wahre Geschichte: Es geht um Otto und Ida Schwab-Schmalz aus dem bernischen Burgdorf. Die beiden waren vor 95 Jahren auf einer Schiffsexpedition in Spitzbergen, die beinahe in einer Katastrophe endete. Davon erfahren haben wir von ihrem Enkel Christian Zingg. Er war im Juni, nicht zuletzt auch aus nostalgischen Gründen, auf unserer Expedition nach Island und Spitzbergen dabei – mit antikem Gepäck.
Zeitreise – Die Arktis im Jahr 1928
von Rahel Staudenmann, Content-Managerin bei Background Tours
Von Erzählungen seines Grossvaters wisse er, dass seine Grossmutter nicht so begeistert war, ihr Heim für ganze vier Wochen und für eine Spitzbergen-Expedition zu verlassen. «Bei dieser Gelegenheit musste sie wohl mit», erzählt Christian Zingg schmunzelnd. Da das Schiff – ein Passagierschiff für Reisen nach Südamerika – nicht ausgelastet war, gab es diese Reise nach Spitzbergen.
Die Grosseltern Otto und Ida Schwab-Schmalz waren zwei von rund 1’500 Gästen. Die Crew zählte rund 300 Besatzungsmitglieder. «Die beiden sind also mit dem Schiff den Rhein hinunter gereist und mit dem Zug weiter nach Hamburg, um dort auf «ihr» Dampfschiff Monte Cervantes einzuschiffen.»
Fast ein Schiffbruch
Christian Zingg ist es, der auf die alten Glas-Positive/Negative bzw. Stereobilder seines Grossvaters, der leidenschaftlich fotografierte, gestossen ist. Stereobilder sind zwei Bilder nebeneinander, auf einem Glas. Wenn man das Glas in einen dafür vorgesehenen Kasten mit Milchglas schiebt, verschmelzen die beiden Bilder zu einem grossen 3D- Bild, welches man durch den Kasten anschauen kann. 3D-Bilder der Frühzeit, sozusagen.
Fasziniert von diesen Aufnahmen, hat sie der Kunsthistoriker im Ruhestand aufwendig aufbereitet: Indem er die Glas-Positive/ Negative unter anderem auf einem selbstgemachten Leuchtpult abfotografiert und später am Computer geschärft, heller oder dunkler gemacht hat.
Gleichzeitig recherchierte er nach den Hintergründen der Reise: Gestossen ist er auf einen Artikel des Schweizer Mitreisenden und Journalisten Carl Flubacher. Es sind Reise-Skizzen, die im damaligen Liestaler «Landschäftler» unter dem Titel «Eine Eismeerfahrt» erschienen sind.
Carl Flubacher beschreibt unter anderem den Schiffbruch, den die Passagiere in ihrer zweiten Reisewoche beinahe erlebt haben. Beinahe deshalb, weil sie von dem, glücklicherweise in der Nähe liegenden, russischen Eisbrecher Krasin und dessen Mannschaft gerettet wurden. Die russischen Männer konnten das grosse Leck mit Holz und Zement flicken und so für die Rückreise sorgen.
Verhängnisvolle Eisschollen
«Ohne Unterbruch und in Schichten arbeiten die Russen. Vierundzwanzig Stunden, tagaus, tagein. Wetterharte Gesellen sind sie.» So beschreibt Carl Flubacher die Retter in seinen Reise-Skizzen. Wie es zum Leck kam? «Fast wie bei der Titanic», sagt Christian Zingg. Auch der Monte Cervantes wurden die Eisschollen zum Verhängnis. (Die ganze Geschichte mit noch mehr Originalzitaten von Carl Flubacher, unter anderem auch über das feuchtfröhliche und gute Ende der Vorkommnisse, sehen Sie im zwanzigminütigen Video).
1928 vs. Heute
Auf der diesjährigen Expedition nach Island und Spitzbergen war auch die Journalistin und Background Tours-Expertin Birgit Lutz dabei. Sie ist seit über 15 Jahren als Guide und Expeditionsleiterin in der Arktis unterwegs. Nachdem sie die Geschichte und die antiken Aufnahmen von Christian Zingg gehört und gesehen hatte, verglich sie die Stereobilder mit Fotografien, die Sie Ende August 2023 am selben Ort aufgenommen hatte.
Entstanden ist eine Dokumentation, die die Erderwärmung und den damit verbundenen Gletscherschwund eindrücklich aufzeigt: «Der Renardbreen-Gletscher hat sich seit 1928 so weit zurückgezogen, dass er nun an Land endet», bemerkt Birgit Lutz. Zum Vergleich: Auf dem Bild von Otto Schwab (siehe Titelbild dieses Artikels) sieht man noch die riesige, aus dem Wasser ragende Eiskante.
Es war einmal … die Gletscher, so wie sie Otto und Ida Schwab-Schmalz im Jahr 1928 erleben durften, werden wir nie mehr so sehen. Was uns aber dank Christian Zingg und seiner Recherche erhalten bleibt, sind die Erinnerungen daran. Und nicht zuletzt die Hoffnung, dass wir auch in 95 Jahren noch in See stechen und die faszinierende arktische Region besuchen können – ohne Beinahe-Schiffbruch, natürlich.