In der Region des «Lewa Wildlife Conservancy» in Kenia leben heute Menschen und Tiere in Einklang zusammen. Das war nicht immer so. Darum wurden gar Elefantenbullen umgesiedelt. Unser Experte Martin Bucher erzählt von einer Umsiedlung im Jahr 2013, was sich seither punkto Artenschutz getan hat und wie es einem der Bullen heute geht.
Wiederbegegnung mit einem majestätischen Riesen
Im Mai 2013 führte ich eine Delegation von Filmemachern und Biologen ins «Lewa Wildlife Conservancy», Kenia. Unser Auftrag war es, Bilder und Stimmen zusammenzutragen, die einer Dokumentation rund um den Nashornschutz dienten. Das Endprodukt mit dem Titel «Krieg um das Nashorn» wurde später im Rahmen von NZZ-Format ausgestrahlt.
Das «Lewa Wildlife Conservancy» in Kenia anerbot sich dabei als der ideale Drehort. Schon seit den frühen achtziger Jahren wird an den nördlichen Ausläufern des Mount Kenya ein intensiver und erfolgreicher Nashornschutz betrieben. Nicht nur der Nashornschutz war im Fokus der Gründer von Lewa. Auch Bildung, die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und das Pflegen der nachbarschaftlichen Beziehung standen im Mittelpunkt des Projekts, um eine nachhaltige Akzeptanz für Natur und Artenschutz in der Region zu erlangen.
Schritt für Schritt nahm das Projekt Gestalt an
Der angestrebte Nashornschutz zeigte erste Früchte im Kampf gegen die Wilderei und auch die lokale Bevölkerung verstand mehr und mehr von der Wichtigkeit von Artenschutz in der Region. Um ein gegenseitiges Zusammenleben zu vereinfachen, wurden erste Wildtierkorridore erstellt, die allfällige Mensch-Wildtierkonflikte auf ein Minimum reduzieren sollten. Die meisten Wildtiere fanden sich mit den neuen und künstlichen «Grenzen» zurecht, obwohl diese ihr Territorium veränderten und die gewohnten Wanderrouten unterbrachen.
Wildtierkorridore und sogenannte «Exclusion-Zones» sind Landstriche, die durch Elektrozäune abgegrenzt sind, um einerseits Vegetationsflächen durch übermässige Nutzung zu schützen oder aber Wildtiere auf Wanderschaft gezielt an dicht besiedelten Regionen vorbeiführen. So passieren Elefanten und andere Wildtiere heute zum Beispiel problemlos Unterführungen, um sie vom intensiven Strassenverkehr und Wohngebieten fernzuhalten.
Um einerseits einen Ernteverlust von Lewa’s Nachbarn zu vermeiden und andererseits diese von eindringenden Elefantenherden zu bewahren, wurden die angrenzenden Gebiete der Communities mit der Errichtung von Elektrozäunen geschützt. Obwohl die Haut eines Elefanten dick ist, verspüren sie einen Stromstoss, wenn sie in Berührung des E- Zauns geraten. Für die meisten Elefanten ist dies dann ein einmaliger Lernprozess, nicht aber für alle.
Elefanten bilden sich weiter
Der Duft der reifen Ernte entpuppte sich für einzelne Elefanten als zu einladend, sodass sie Methoden entwickelten, um auf die andere Seite des Zaunes zu gelangen. Es gab Bullen, die nicht lockerliessen und herausfanden, dass wenn sie mit ihren stattlichen Stosszähnen die Zaundrähte bearbeiteten, diese keine Stromschläge weiterleiten. Lange Rede kurzer Sinn – Elfenbein leitet also keinen Strom durch den Körper der Tiere.
Es profitierten einige Tiere von dieser erfolgreichen Strategie und sie drangen regelmässig in die «geschützten» Zonen ein, wo sie sich «illegal» verköstigten. Vom hochentwickelten Elefanten ist bekannt, dass er viele Verhaltensmuster aus Beobachtungen anderer Individuen übernimmt und sich so quasi laufend weiterbildet.
Plan B
Die Verantwortlichen von Lewa wussten um diese Fähigkeit bei Elefanten. So liessen sie für einige Zeit zu, dass sich die vier «auffälligen» Elefantenbullen vorübergehend auch auf der anderen Seite des Zauns bedienten, jedoch musste bald ein Plan B gefunden werden.
Um den «Schaden» in den Griff zu bekommen und damit sich keine weiteren Tiere mit der Methode des Zaunbrechens vertraut machen konnten, unternahm Lewa in Zusammenarbeit mit der nationalen Behörde, dem KWS, einen einmaligen Versuch, um die erfolgreichen Elefantenbullen zu vergrämen. Dieser sah vor, die Tiere zu narkotisieren und ihnen währenddessen die bisher erfolgreich genutzten Werkzeuge, also ihre Stosszähne, einzukürzen, um den Einsatz dieser «Arbeitsgeräte» zu minimieren.
Dieser Eingriff ist schmerzfrei, wenn der Stosszahn im vorderen, äusseren Bereich abgetrennt wird. Stosszähne verfügen über eine Zahnwurzel, ist diese nicht beschädigt, wachsen Stosszähne problemlos und lebenslänglich nach.
Plan B nur von kurzer Dauer
Tatsächlich sanken die Beschädigungen nach diesen Eingriffen um ein Vielfaches. Doch schon bald danach beobachteten die Ranger erneut, wie sich die «Spezialisten» an den Zäunen betätigten, diesmal mit Füssen und Rüsseln und somit auch Stromschläge in Kauf nahmen.
Kurz vor Abschluss der Filmaufnahmen des erwähnten Nashorn-Films teilten uns die Lewa-Verantwortlichen mit, dass eine Elefantenumsiedlung in den nächsten Tagen auf der Agenda stand. Ziel war es, sogenannte «Problemelefanten», also die auffälligen Bullen, welche die neuen Grenzen nicht akzeptieren wollten, einzufangen und als letzte Chance für sie, in den abgelegenen Meru Nationalpark umzusiedeln. Die neue Heimat, der Meru Nationalpark, liegt weit östlich von Lewa in einer weniger besiedelten Region und die Chancen standen gut, dass sich die dominanten Bullen dort gut zurechtfinden würden.
Glücklicherweise konnte ich der Elefantenumsiedlung beiwohnen und ich war beindruckt, mit welcher Professionalität die mächtigen Tiere mit dem Helikopter in die zugängliche und offene Savanne getrieben wurden, von wo aus dann der Veterinär einen gezielten Schuss abgeben konnte.
In meinem Beisein verliess das Transportfahrzeug mit einem dominanten «Zaunbrecher»-Bullen an Bord das «Lewa Wildlife Conservancy» in Richtung Meru Nationalpark, wo er einige Stunden später eintraf und in seine neue «Heimat» entlassen wurde.
Beeindruckt vom einmaligen Erlebnis, einer Elefantentranslocation beiwohnen zu dürfen und einem Hauch Hoffnung für den Elefantenbullen, dass er seine Chance im Meru Nationalpark «packen» würde, reisten auch wir bald weiter. Im Gepäck hatten wir eindrückliches Material für die geplante Nashorn-Doku, aber auch unvergessliche Bilder von Wildtiermanagement der damaligen Zeit.
Die Wiederbegegnung
Letzten Sommer führte mich eine Safari nach vielen Jahren wieder in den Meru Nationalpark. Der Park wird nicht so intensiv von Touristen besucht wie andere in Kenia. Auffällig war, dass die dortigen Elefantenbestände gegenüber anderen Gegenden, mit mächtigen Stosszähnen ausgestattet waren.
Meine Freude war gross, als uns ein imposanter Bulle, ich schätzte ihn auf zirka dreissig Jahre, mit auffälligen Stosszähnen entgegenkam. Gelassen und majestätisch lief er in unsere Richtung und wir konnten ihn über eine längere Zeit gut beobachten. Mit dem Fernglas war deutlich zu sehen, dass seine Stosszähne vorne Schnittstellen hatten. Mir war bald klar, dass es sich dabei um einen der Bullen handeln musste, welcher vor gut zehn Jahren von Lewa nach Meru umgesiedelt wurde.
Die eindeutige Identifikation des Tieres gelang mir allerdings erst später zu Hause, als ich Fotos von damals mit den Aktuellen verglich und eindeutige Erkennungsmerkmale an den Ohren des Tiers feststellen konnte.
In Kenia hat sich viel getan
Heute wird die Methode von «detusking», also dem Einkürzen von Stosszähnen bei Elefanten, in Kenia nicht mehr angewendet. Einerseits weiss man mehr um die Wichtigkeit der Stosszähne bei Elefanten. Es sind notwendige Werkzeug bei der Futterbeschaffung aber auch Statussymbole bei Bullen, wenn sie sich mittels Rivalen-Kämpfen messen.
Andererseits sollen sich die stärksten und mächtigsten Bullen fortpflanzen können und somit die Elefantenbestände in Kenia sichern.
Unterdessen hat sich die Botschaft von Natur und Artenschutz im nördlichen Kenia breit gemacht. Auf einer Fläche grösser als die Schweiz, leben heute Wildtiere und Menschen mehr oder weniger in Einklang zusammen. Verantwortlich für diese Botschaft ist das «Lewa Wildlife Conservancy» und der «Northern Rangelands Trust».
Elektrozäune sind nach wie vor im Einsatz, diese sind aber mittlerweile anders konzipiert und modifiziert. Die lokale Bevölkerung versteht die Bedeutung der Wichtigkeit ihrer Wildtiere und das ist notwendig, wenn man weiss, dass sich die Bevölkerung Kenias in den nächsten 25 Jahren verdoppeln wird.
In meiner über 40-jährigen Reisetätigkeit nach Afrika und insbesondere die Einblicke in die Organisation vom «Lewa Wildlife Conservancy» zeigten mir die Wichtigkeit des «Miteinanders» auf, wenn Lösungen in Mensch- und Wildtierkonflikten gefragt sind.
Ein afrikanisches Sprichwort lautet: «Wenn Du schnell gehen willst, dann geh allein. Wenn Du aber weit gehen willst, dann geh mit andern.»
Genau so funktioniert ein nachhaltiger Natur- und Artenschutz – sei es im fernen Afrika oder hier in der Schweiz.