Jean Renaud Zafilaza kontrolliert Vanillepflanzungen am Rand des Marojejy Regenwalds.
Jean Renaud Zafilaza kontrolliert Vanillepflanzungen am Rand des Marojejy Regenwalds. Bild: © Patrick Rohr

Vanillekrieg im Naturparadies

 |  Hintergrund

Die Vanillepreise auf dem Weltmarkt spielen verrückt. Am stärksten leiden darunter die Bäuerinnen und Bauern in Madagaskar, wo der Grossteil der weltweiten Vanilleproduktion herkommt. Was dazu geführt hat – und wie eine Schweizer Organisation hilft. Ein Auszug aus dem Artikel von unserem Experten Patrick Rohr, der am 23. September 2023 in allen Zeitungen von CH Media veröffentlicht wurde. 

Ermöglicht hat diese Reportage die Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas, die sich in Madagaskar für die Verbesserung der Lebensgrundlagen der Vanillebauern und, zusammen mit dem WWF, für den Schutz des Regenwaldes engagiert.


«Es ist schlimm», sagt Alain Razafimanantsoa, Direktor des Hafens von Antalaha im Nordosten von Madagaskar, und zeigt auf das Wasser zwischen den zwei Piers des Hafens. «Es ist noch nicht lange her, da lag hier Schiff an Schiff, alle voll beladen mit Vanille, wir kamen mit Verladen kaum nach.» Jetzt verlasse pro Woche vielleicht noch ein mit Vanille beladenes Schiff den Hafen, oft auch keines. Vanille ist für den Hafen von Antalaha überlebenswichtig.

Speicher der Händler voll

Doch seit einiger Zeit ist es still hier. Ich möchte wissen, weshalb – und mache mich auf Spurensuche. Von Antalaha fahre ich eineinhalb Stunden der Küste nach nordwärts, nach Sambava, einen wichtigen Handelsplatz. Hier treffe ich mehrere Leute aus der Branche, führe lange Gespräche, doch offiziell will niemand mit mir reden. Hinter vorgehaltener Hand erfahre ich allerdings, dass die Speicher der Händler voll seien. Im Moment wolle einfach niemand seine Ware verkaufen, zu tief seien die Preise, zu gross die Hoffnung, dass sich mit Vanille bald wieder so viel Geld verdienen lässt, wie noch vor ein paar Jahren.

Tatsächlich wurden im Jahr 2018 auf dem internationalen Markt für ein Kilogramm schwarze, also verarbeitete Vanille, bis zu 700 Dollar bezahlt, mehr als damals ein Kilogramm Silber kostete. «Das war ungesund, absolut nicht normal», sagt einer der Verarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. «Doch von so wenig, wie ein Kilo heute noch kostet, kann niemand leben.» Deshalb warte man ab. Das ist problemlos möglich, denn verarbeitete Vanille lässt sich mehrere Jahre lagern.

Nachfrage zu gross

Das Problem begann gegen Ende des vorletzten Jahrzehnts. Bis dahin war Vanille eines von vielen Produkten, die hier in der Gegend angebaut wurden. Die Preise bewegten sich bei allen etwa auf dem gleichen Niveau. Doch dann begannen internationale Finanzierungsgesellschaften, ins Vanillegeschäft zu investieren, worauf der Absatz stieg – und mit ihm die Preise. Im Jahr 2015 war die Nachfrage so gross, dass Madagaskar sie erstmals nicht mehr befriedigen konnte, was die Preise weiter in die Höhe trieb.

«Wir verdienten damals gutes Geld», sagt Jean Renaud Zafilaza, 44-jähriger Vanillebauer aus Ambavala, einem Dorf im fruchtbaren Hinterland der Stadt Andapa, das nur über eine holprige Piste erreichbar ist. «Aber eine schöne Zeit war es nicht.» Als sie auf dem Höhepunkt waren, erzählt Renaud, sei in der Gegend ein regelrechter Krieg um die Vanille ausgebrochen. Diebe hätten ganze Felder geplündert, worauf die lokalen Behörden nächtliche Ausgangssperren verhängt hätten. 50 Franken brachte ein Kilo unverarbeitete Vanille damals ein, etwa zehnmal so viel wie noch ein paar Jahre davor.

Preise fallen ins Bodenlose

Mit dem Geld, das er in dieser Zeit verdiente, konnte Renaud sein Haus, eine einfache Holzhütte, renovieren. Und er schaffte sich ein Motorrad an, um seine Ernte einfacher zum Verarbeiter im nächsten Dorf zu bringen. Doch mittlerweile begannen auch jene Pflanzen Früchte abzuwerfen, die drei Jahre zuvor gepflanzt worden waren. Immer mehr Vanille kam auf den Markt, es gab eine regelrechte Schwemme. Und weil gleichzeitig auch noch die Corona-Pandemie ausbrach, kam es zudem zu einem Einbruch der weltweiten Nachfrage. Überproduktion, Nachfrageeinbruch: Die Preise fielen ins Bodenlose – so schnell, wie sie gestiegen waren.

«Keine einfache Situation», sagt Teddy Gervais Seramila, der regionale Infrastruktur- und Entwicklungsdirektor beim Innen- und Dezentralisierungsministerium. Die völlig überhöhten Vanillepreise hätten fatale Folgen für die ganze Region gehabt, sagt er. «Viele Bauern vergrösserten ihre Felder, zum Teil bis tief in den geschützten Regenwald hinein.» Das sei schlecht für die Biodiversität und das ökologische Gleichgewicht. Und auch jetzt, wo die Preise wieder viel tiefer sind, würden einige Bauern ihre Felder weiter in den Regenwald hinein ausweiten.

Im Unterschied zu den Händlern, die die verarbeitete Vanille lagern können, müssen sie ihre frische Ware nämlich verkaufen, auch wenn sie fast nichts mehr einbringt. Sie können nicht warten, bis die Preise steigen. Madagaskar ist eines der ärmsten Länder der Welt. Zugang zu elektrischem Strom oder sauberem Wasser haben nur die wenigsten Menschen, viele Dörfer sind nicht über eine Strasse erschlossen. Immer noch leben etwa 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft, den meisten Bäuerinnen und Bauern reicht der Ertrag gerade für die Ernährung der eigenen Familie. Aus diesem Grund arbeitet Madagaskar in verschiedenen Bereichen mit internationalen Organisationen zusammen, zum Beispiel mit der Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas.

Fachwissen vermitteln

«Oft fehlt den Bauern, die früher andere Produkte angepflanzt hatten und dann plötzlich auf Vanille umgestiegen sind, das Wissen, wie sie aus ihren Vanillepflanzen das Maximum herausholen können», sagt Harison Randrianarivo, lokaler Mitarbeiter von Helvetas. In Kursen in den Dörfern der Region vermittelt die Organisation den Bauernfamilien das nötige Fachwissen. Und sie zeigt ihnen darüber hinaus, wie sie sich mit einer Diversifizierung, zum Teil auf den gleichen Feldern, auf denen sie Vanille anpflanzen, unabhängiger machen können.

Ich frage Renaud, wie er seine persönliche Zukunft sieht. Die Regierung hat vor kurzem den Mindestpreis aufgehoben, jetzt bestimmt der Markt wieder die Preise. 5 Dollar gibt es für ein Kilo noch, so wenig wie zuletzt vor 20 Jahren. Er habe vorgesorgt, sagt Renaud. Er konnte eine zusätzliche Landparzelle erwerben, gleich neben seinen Vanillefeldern, auf der er und seine Frau unter anderem Zuckerrohr, Bohnen und Ingwer anpflanzen. «So können wir die Mindereinnahmen durch die Vanille wenigstens zu einem Teil kompensieren.»


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