Die gut erhaltenen Gräber von Hegra wurden von den Nabatäern im ersten Jahrhundert nach Christus erbaut.
Die gut erhaltenen Gräber von Hegra wurden von den Nabatäern im ersten Jahrhundert nach Christus erbaut.

Im Wüstenwunderland – Streifzüge durch Saudi-Arabien

 |  Hintergrund

Es gibt so einiges in Saudi-Arabien, worüber man sich wundern kann. Das islamische Königreich setzt seit Kurzem auf Tourismus und versucht, das Land behutsam zu öffnen. Ob das gelingen wird? Günter Spreitzhofer sucht in der ihm fremden Welt zwischen Rotem Meer und Persischem Golf nach Antworten. Der Österreicher ist Geograf und Reisender. Der Weg ist für ihn noch immer das Ziel, auch nach 171 bereisten Ländern. Während der Coronapandemie entdeckte er gemeinsam mit seinem Bruder Saudi-Arabien. Die ungekürzte Reportage finden Sie in der Sommerausgabe 2023 des Globetrotter Magazins, Nr. 146. 

Langsam dreht sich das Riesenrad, an dem auch in der prallen Mittagssonne rosafarbene Neonlichter blinken. Daneben herrscht mächtig Betrieb beim Quadverleih: Mit Halligalli, aber ohne Helm, rasen Gross und Klein ohne Parcours mitten durch den kleinen Gebirgsort auf 2’200 m ü. M., mit Schleudertests auf Kies – hoffentlich weit genug an unserem Leihwagen vorbei. Dahinter eine grüne Pferdekutsche mit Generator am Bock, um die gewaltige Soundmaschine an Bord mit Strom zu versorgen, die für orientalische Stimmung sorgt.

Zum Gebet

Hinter den getönten Panoramascheiben warten mein Bruder und ich auf den Sonnenuntergang, der sich hinter dem Dunst des Tieflandes am Roten Meer vollzieht. Und wir warten auch auf den Chief-­Burger, wie das lauwarme Kebabbrot mit Tomate und Rindfleisch hier heisst. «Enjoy», sagt der junge Kellner, der Hose, Hemd und Brille von Boss trägt und sich auch so zu fühlen scheint. «Shukran» - danke.

Irgendwann ruft der Muezzin, und bald sitzen nur noch Frauen im Lokal, weil auch die Kellner und Köche zur Moschee müssen, und die männliche Begleitung der Frauen natürlich auch. Auch wir müssen raus, und zwar sofort: Nur mit etwas Glück darf noch fertig gegessen werden. Wir müssen vor dem Eingang warten, bis das Lokal wieder geöffnet wird. Und das kann dauern. Mahlzeiten in Saudi-­Arabien wollen gut geplant sein. Wir achten auf die Gebetszeiten, die je nach Sonnenstand täglich variieren und online abrufbar sind.

Saudi­-Arabien ist 50-mal grösser als die Schweiz und immer noch eine riesige, fremde Welt, die gerade dabei ist, sich zu öffnen. Ohne Reisegruppe unterwegs zu sein, ist gar nicht einfach, da es kaum aktuelle Reiseführer und nichtarabischsprachiges Kartenmaterial gibt. Für Google Maps würden wir überall Empfang brauchen, doch das ist ausserhalb der Ballungsräume ein pures Glückspiel und abhängig vom Betreiber der lokalen SIM­Karte. Ohne Navi ist nicht weiterzukommen, es sei denn, man kann arabische Schriftzeichen lesen – das gilt auch für Wegweiser, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Märkte, Geschäfte, Apotheken und Hotels, die selten lateinisch beschriftet sind.

Lokaltourismus

Natürliches Gras ist zwar nirgends zu sehen, doch Picknick mit Familie an der Bergluft scheint die beliebteste Aktivität der Saudis zu sein – eine Decke ist rasch ausgebreitet, auf Asphalt oder Gestein. Darauf lässt es sich gut zusammensitzen, palavern und dinieren – stundenlang. Eingeladen dazu werden wir nie, allen Klischees der orientalischen Gastfreundschaft zum Trotz: Die Blicke der Wochenendgesellschaften in den Bergen hinter Mekka bleiben argwöhnisch und misstrauisch, jedenfalls in unserer Erinnerung.

Die bizarren Berggipfel rundherum? Namenlos und weglos, keine Markierungen, schon gar keine Gipfelkreuze – warum auch in einem muslimischen Land? Keine Sportkletterer oder Gleitschirmflieger, keine Joggerinnen mit oder ohne Hund. Auch Mountainbiken oder Motorradfahren ist hier unüblich, trotz dramatisch spektakulären Pass­ und Panoramastrassen, die meistens bestens asphaltiert und verkehrsarm sind. Wir fahren vorbei an Hunderten von Wehrtürmen.

Sportliche Aktivitäten finden zumeist indoor statt, auch wenn mehr und mehr Kunstrasenplätze im staubigen Nichts entstehen. Und davon gibt es hier genug: Saudi­-Arabiens Bevölkerung zählt nur rund 26 Millionen, statistisch leben 16 Menschen pro Quadratkilometer im Land. In der Schweiz sind es 218.

Ausserhalb einiger weniger Ballungsräume scheint das Land fast menschenleer. Touristen – mehrheitlich Pilger – kommen aber nicht wenige: Saudi­Arabien empfing 2020 trotz Pandemie 20 Millionen Gäste und erwirtschaftete 2019 allein im Tourismussektor knapp 18 Milliarden Euro. Dies entspricht 2,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes und etwa 11 Prozent aller internationalen Tourismuseinnahmen in Vorderasien. Die königliche «Vision 2030» sieht Tourismus als Motor für den gesellschaftlichen Aufbruch des Landes.

Künstliches Idyll

Jeddah gilt seit Jahrhunderten als Tor zu zwei der drei heiligsten Stätten des Islam und ist mit internationalem Pilgertourismus bestens vertraut: Die Kaaba in Mekka und die Prophetenmoschee in Medina. Mit Kultur­ und Freizeittouristen tut man sich hier noch schwerer, auch wenn die Fünfmillionenstadt am Roten Meer als liberalste des Landes gilt und auch gelegentlich die Formel 1 auf ihre Stadtautobahnen lässt. Es gibt Schanigärten und Eissalons an der 32 km langen Corniche, wohin allabendlich Tausende von Familien zum Picknick strömen.

An Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit sind sich hier alle gewöhnt. Die abendliche Idylle ist beleuchtet vom grellweissen Neonlicht der 312 m hohen König­Fahd­Fontäne, des höchsten Springbrunnens der Welt. Unerwartetes High Life, das uns zum Staunen bringt, wie so oft in diesem Land. Niemand spricht uns an, doch heimlich fotografiert werden wir oft genug.

Die überwältigende Mehrheit der Frauen trägt knöchellange schwarze Hijabs oder Niqab und Sneakers, bummelt aber mittlerweile auch ohne männliche Begleitung durch klimatisierte Mega-­Shopping-­Center, wo ganze Stockwerke für Eislaufplätze und Kinderfunparks reserviert sind. Mehr als verstohlene Blicke auf uns sind nicht drin, sie anzusprechen oder gar zu fotografieren, ist immer noch tabu. Wer archaische Basare erwartet, ist im Jemen besser aufgehoben. Derzeit wird der denkmalgeschützte Stadtkern von Downtown Jeddah behübscht und zur Bilderbuchkulisse für Fine Dining und Upperclass­-Shopping modelliert – mit einem Budget von fünf Milliarden USD für fünf Quadratkilometer. Dubai lässt grüssen.

Es gibt viel, worüber man sich wundern kann im Wüstenwunderland, das so gerne ein internationales Touristenziel werden will. Doch irgendwann wird die Vision vom Reisetraum Saudi-­Arabien Wirklichkeit werden, da scheinen sich alle sicher. Ob tausendundnocheine Nacht reichen, bleibt abzuwarten. 



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