Thomas Kolly 2019 bei der Einweihung eines Wasserkraftwerkes im Norden von Pakistan. «Es wurde mit Schweizer Unterstützung gebaut.»

«Es ist ein Privileg, solch einen Job machen zu dürfen.»

 |  Hintergrund

Auch wenn die diplomatische Arbeit manchmal physisch und psychisch belastend war, empfand es Thomas Kolly immer als Privileg, unser Land in verschiedenen Funktionen zu vertreten. Und das 35 Jahre lang. Der ehemalige Schweizer Botschafter und Background Tours-Experte erzählt Ihnen aus diesen Jahren. Zum Beispiel, worüber er mit dem kosovarischen Premierminister bei seinem Abschiedsessen sprach.

Interview von Rahel Staudenmann, Content-Managerin bei Background Tours


Rahel Staudenmann: Mit Ihren drei Jahren als Schweizer Botschafter im Kosovo setzten Sie 2023 den Schlusspunkt hinter Ihre Diplomatentätigkeit. Geben Sie uns einen Einblick in diese drei Jahre?

Thomas Kolly: Es war ein speziell interessanter Posten. Die Schweiz engagiert sich für ein friedliches Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen im Kosovo sowie für eine nachhaltige Entwicklung der dortigen Wirtschaft. Entsprechend ist die Beziehung zwischen beiden Ländern sehr eng. Auch, weil zahlreiche Menschen in der Schweiz leben, die kosovarische Wurzeln haben. Die Verbundenheit zwischen den beiden Ländern ist einzigartig.

Haben Sie diese Verbundenheit gespürt?

Ja. Ich hatte viele positive, gar herzerwärmende, Begegnungen in Kosovo. Die Leute dort sind immer sehr freundlich gegenüber Ausländer*innen. Wenn sie realisierten, dass ich Schweizer bin, öffneten sie ihre Herzen und Türen noch mehr.

Ihr Titel war in solchen Momenten nicht wichtig?

Nein.

Sprechen wir aber doch noch über die Botschaft.

Seit der Loslösung des Kosovo von Serbien hat die Schweiz eine sehr grosse Vertretung in Pristina. Sie war zu meiner Zeit und ist jetzt noch, mit rund fünfzig Mitarbeitenden, die grösste Schweizer Botschaft auf dem Balkan.

Erzählen Sie uns von den Aufgaben der Schweizer Botschaft?

Nach dem Krieg von 1999 hatte ein Grossteil der ländlichen Bevölkerung kein fliessendes Wasser. Dank einem jahrelangen Engagement der Schweiz hat nun auch die Landbevölkerung Wasser in ihren Häusern. Auch heute arbeitet die Schweiz im Wassersektor eng mit der Regierung Kosovos zusammen. Der Bedarf an Wasser in der Landwirtschaft, der Industrie und der Bevölkerung wächst.

Gleichzeitig gibt es als Folge des Klimawandels längere Trockenperioden, und wenn dann die Niederschläge einsetzen, treten sie je länger, je mehr sturmartig auf. Bei der Suche nach Lösungen arbeitet die Schweiz eng mit Kosovo zusammen: Wie können die beschränkten Wassermittel möglichst effizient genutzt werden? Wie kann sich die Landwirtschaft an die veränderten Bedingungen anpassen? Wo müssen Stauseen gebaut werden, damit auch in fünfzig Jahren genügend Wasser für die Bevölkerung und die Wirtschaft vorhanden ist?

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Mithilfe bei der Modernisierung des Gesundheitssektors.

Wie können wir uns diese Mithilfe vorstellen?

Unser Land war daran beteiligt, sogenannte Familien-Gesundheitszentren aufzubauen. Diese Zentren garantieren eine solide medizinische Grundversorgung. Gleichzeitig unterstützt die Schweiz die Bemühungen, die Zusammenarbeit dieser Gesundheitszentren mit den regionalen Spitälern zu verbessern. Weiter engagiert sich die Schweiz auch im Schulwesen.

In welcher Weise?

Sie unterstützt die kosovarische Regierung vor allem darin, die Berufslehre zu verbessern. Die jungen Kosovar*innen sind lernbegierig und leistungswillig. Mit einem modernen Ausbildungssystem können diese positiven Eigenschaften in eine blühende Wirtschaft umgemünzt werden. Neben ihren Projekten im Bereich des Lehrlingswesens unterstützt die Schweiz auch kleine und mittlere Betriebe in deren Bemühungen, ihre Produkte und Dienstleistungen zu verbessern sowie ihren Abnehmerkreis zu vergrössern.

Nicht zuletzt leistet die Schweiz einen Beitrag, die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo zu verbessern. Die Schweiz mit ihrer sprachlichen und kulturellen Vielfalt ist bestens geeignet, die beiden Länder auf diesem schwierigen Weg zu begleiten.

Wie «weiss» die Schweizer Botschaft, welche Projekte realisieret werden sollen?

Der erste Schritt ist immer, dass ein Land von sich aus das Bedürfnis für Unterstützung in denen für sie wichtigen und zentralen Themen äussert und diese Bedürfnisse der gesamten internationalen Gemeinschaft präsentiert. Im Kosovo waren es unter anderem die öffentliche Gesundheit und die Berufsbildung. Die Schweiz als Beispiel, verfügt in beiden Themen über grosses Wissen und Erfahrung und setzt sich darum entsprechend ein.

Konnten Sie, grad solch intensive und langfristige Projekte, gut loslassen? 

Als Diplomat ist man es sich gewohnt, nach drei, vier Jahren den Posten zu räumen. Da der Projektzyklus normalerweise länger dauert, muss man aber vieles unvollendet zurücklassen. Umso wichtiger ist es, die Übergabe an die Nachfolge gut zu organisieren, so dass diese Person ab dem ersten Arbeitstag voll operieren kann.  

Apropos Posten räumen. Gab oder gibt es in Ihrem Job eine Art Verabschiedung?

Ja. Der ganze Abschiedsprozess ist intensiv, lang und schön. Gleichzeitig ist ein guter Abgang wichtig, um der Nachfolge das Terrain zu ebnen: Es gibt offizielle Abschiedstreffen mit der Staatspräsidentin, dem Premierminister, dem Parlamentspräsidenten, den wichtigsten Ministern, den Chefinnen und Chefs internationaler Organisationen, Wirtschaftsvertreter*innen, Vertreter*innen aus der Kultur und von Zivilgesellschaften.

Der Schluss- und gleichzeitig Höhepunkt für mich war das gemeinsame Mittagessen mit  dem kosovarischen Premierminister Albin Kurti an meinem letzten Tag in Pristina. Zu ihm hatte ich vom ersten Tag meines Einsatzes an und bis zum Ende hin einen exzellenten Draht. Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, den Premierminister erneut zu treffen, dieses Mal in der Schweiz. Es war ein schönes und eindrückliches Treffen.

Es interessiert mich, was bei solchen Essen geredet wird.

Zu achtzig Prozent sind es politische Themen. Mit Albin Kurti besprach ich, wie die Schweiz den Kosovo bei seinen Bemühungen um Mitgliedschaft beim Europarat unterstützen könnte.

Ein weiteres wichtiges Thema war die EU. Der Premierminister weiss natürlich, dass wir kein EU-Land sind und auch keine Ambitionen haben, ein solches zu werden. Es interessiert ihn, wie wir es schaffen, gleichwohl eine konstruktive Beziehung mit Brüssel zu pflegen. In solchen Belangen werden wir oft um guten Rat gefragt.

Und die restlichen zwanzig Prozent?

Wie bei anderen geselligen Anlässen spricht man über die Familie, Fussball, Essen und andere unbeschwerte Themen.

Nun haben wir einen groben Eindruck, wie man eine Botschafts-Stelle abschliesst. Und wie beginnt man eine?

Nun, für mich ist das ja Vergangenheit. Aber es ist nach wie vor so, dass man sich als Diplomat*in möglichst schnell mit dem neuen Einsatzort, den wichtigen Leuten und Organisationen sowie den aktuellen Themen vertraut macht.

Entscheidend ist es, möglichst schnell bei den wichtigsten Entscheidungsträgern persönlich vorbeizugehen und mit ihnen eine gute Beziehung aufzubauen. Wenn ich später ein Anliegen habe, ist es viel leichter Gehör zu finden.

Das stelle ich mir physisch auch mal anstrengend vor. Gibt es Erholungsmomente in Ihrem Job?

Ja, die gibt es. Ich ging und gehe regelmässig joggen, bin häufig auf dem Velo, mache jeden Tag meine Liegestützen und Dehnungsübungen. Ausgewogene Ernährung, möglichst wenig Alkohol und genügend Schlaf sind zudem wichtig.

Körperlich am intensivsten waren für mich die jährlichen Weltklimakonferenzen. Zum Beispiel im Jahr 2009 in Kopenhagen. In der letzten Verhandlungswoche wurden die Nächte immer kürzer. Die letzten 24 Stunden feilten wir sogar ohne eine Minute Schlaf an den letzten Formulierungen.

Und wenn Sie mal schlafen konnten. Ging das oder haben Sie Erlebtes mit ins Bett genommen?

Natürlich ist es schwierig, nach einer intensiven Verhandlungsrunde ruhig einzuschlafen. Positiv ist, dass sich die Parteien in internationalen Verhandlungen normalerweise mit Respekt begegnen, auch wenn die eigenen Interessen in der Substanz knallhart verfolgt werden.

Der gegenseitige Respekt hilft, dass man nicht mit einem Groll gegen bestimmte Personen ins Bett geht. Allgemein war es für mich immer ein Privileg, solch einen Job machen zu dürfen.

Bewirbt man sich beim EDA auf einen bevorzugten Botschafter-Posten?

Ja, man schreibt ein Bewerbungsschreiben, so, wie wenn man sich für eine Stelle ausserhalb des EDA bewerben würde.

Wird man auch mal vorgeschlagen?

Das kommt vor. Für die Botschaftsstelle in Pristina, Kosovo, habe ich mich beworben. Mein letzter Posten sollte nochmals ein operationelles Tätigkeitsfeld mit entsprechenden personellen und finanziellen Mitteln bieten.

Vor allem von Pakistan und Zentralamerika her brachte ich viel Erfahrung in operationellen Aufgaben mit, die mir den Weg für den Job im Kosovo öffneten. 

So unterschiedlich die Länder sind, in denen Sie Botschafter waren – gibt es rückblickend etwas, in denen sie sich ähneln?

Meine Erkenntnis ist, dass die Essenz von uns Menschen überall die gleiche ist. Ob es nun der reiche Bänker in New York ist, der Taliban in Afghanistan oder der bolivianische Bauer, der nicht lesen und schreiben kann … Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er möchte, dass es seiner Familie gut geht, Respekt und Anerkennung erfahren. Die Grundbedürfnisse sind die gleichen.

Und was wird jetzt nach der Pension aus Ihnen? Wandern Sie aus?

(lacht). Meine Basis ist und bleibt die Schweiz, auch wenn ich in Zukunft vermutlich einige Zeit im Ausland verbringen werde. Auf meiner Agenda stehen Laos, wo sich ein guter alter Freund niedergelassen hat, Sri Lanka, welches ich in meiner Studentenzeit als Reiseleiter kennen und schätzen gelernt habe. Weiter Guatemala und Spanien, wo ich liebe Leute kenne.

Nicht zuletzt bin ich unterdessen fünffacher Grossvater, was ich geniesse. Eine neue Rolle als Thomas Kolly kommt auf mich zu, der eine neue Generation heranwachsen sehen darf.


Zur Person

Thomas Kolly ist 65 Jahre alt, pensioniert und wohnt mit seiner Partnerin in einer WG in Chur. Man trifft ihn oft auch in Bern an, wo seine drei Kinder und seine fünf Enkelkinder daheim sind. Er wuchs als Zimmermannssohn mit drei Geschwistern im luzernischen Pfeffikon auf. Sein Berufsbildner riet ihm seinerzeit, Pfarrer oder Diplomat zu werden. Letzteres war Thomas Kolly mit Leib und Seele: Vor seinen drei Jahren im Kosovo war er als Botschafter in Pakistan und Afghanistan, Spanien, Guatemala, Honduras und El Salvador tätig. Weitere Meilensteine in seiner Karriere sind die Zeit als Leiter des Schweizer Teams in den internationalen Klimaverhandlungen und davor als Mitglied der Schweizer Verhandlungsequipe, die die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU aushandelt.

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