Meine Reisegefährtin Celia und ich nicken auf die Frage der Pause. Auf einem Autobahnrastplatz halten wir an. Mit geübten Handgriffen, welche im Verlauf unserer Reise schon fast zur Routine werden, holen wir die Plastikdecke aus dem Picknick-Korb und breiten sie auf dem Kofferraum des Autos aus. Sia füllt unsere Becher mit heissem Kaffee, wir breiten unseren Vorrat an Baklava, Datteln und Keksen aus. Seit 15 Tagen sind wir nun schon in Iran – und kommen oft gar nicht hinterher, die gewonnenen Eindrücke zu verarbeiten.
Die ersten Tage unserer Reise widmen wir dem erstaunlich grünen Norden Irans, der zumindest bis anhin noch nicht zu den Hauptzielen der westlichen Tourist*innen gehört. Besonders fasziniert uns das Felsendorf Kandovan, dessen Bewohner*innen ihre Behausungen direkt in die weichen, kegelförmigen Tufffsteinformationen graben.
Bescheiden wohnen
Diese bescheidene Art des Wohnens verändert sich über all die Jahre kaum. Erst der Einzug der Elektrizität in das Dorf führt zu kleineren Modernisierungen. Nach wie vor führen die Bewohner*innen aber ein gemächliches und autarkes Leben abseits der Hektik der Städte.
«Many things are possible in Iran»
Im Kontrast dazu erlebten wir in der Zehn-Millionen-Metropole Teheran die kosmopolitische Seite des Irans – nirgends präsentiert sich das Land moderner und weltoffener. Trotz Verhüllungspflicht nehmen es die jungen Frauen hier mit den Kleidervorschriften nicht so genau. Die modischen Manteaus sind enganliegend, das Kopftuch wird lässig getragen und vorteilhaft in Szene gesetzt. «Many things are possible in Iran – as long as you don’t scream it» erklärte uns ein junger Iraner.
Immer wieder spüren wir auf unserer Reise, dass die Iraner*innen den Austausch wünschen. Dass man als Besucher*in aus dem Abendland angesprochen wird, ist keine Seltenheit. Oftmals werden wir gefragt, was wir vom Land halten und ob es uns hier gefällt.
Tatsächlich ist das Bild des Irans, welches von den westlichen Medien gezeichnet wird, oftmals ein Negatives. Eine undurchsichtige Atompolitik, den starken Einfluss der islamischen Elite auf die Lebensweise der Bevölkerung und die Benachteiligung der Frauen prägen die weitläufige Meinung. Umso erfreulicher, dass sich westliche Tourist*innen dazu entscheiden, sich selbst vor Ort ein Bild dieses vielschichtigen Landes zu machen.
Von Teheran fahren wir weiter südwärts nach Qom. Diese konservativ eingestellte Wallfahrtsstadt birgt eine der heiligsten und architektonisch wertvollsten Baukonstruktionen des Iran, die imposante Grabmoschee der Fatima al-Masuma.
Zum Gelände gehört auch die Islamisch-Theologische Hochschule von Qom, eine der grössten Ausbildungsstätten für schiitische Geistliche. Manche sagen, von hier steuern die Mullahs das Land. Der politische und spirituelle Führer der islamischen Revolution, Ajatollah Ruhollah Chomeini, lässt sich in den 1920er-Jahren hier in der islamischen Rechtsschule ausbilden.
Unter die Gläubigen mischen
Am Eingang zum Schrein erwartet uns bereits ein Mullah, der auf mich mit seiner langen Robe und dem weissen Turban, dem bartbewachsenen strengen Gesicht und seinem distinguierten Auftreten im ersten Moment einschüchternd wirkt. Er stellt sich als unser Führer vor und händigt uns Tschadors, bodenlange Ganzkörperschleier, aus, bei denen einzig das Gesicht nicht verhüllt ist. Korrekt angezogen mischen wir uns, dem Mullah folgend, unter die Gläubigen.
Wir lauschen seinen Erläuterungen und sind beeindruckt von der imposanten goldenen Kuppel und den mit feinsten Fliesenmosaiken bedeckten Minaretten. Der Mullah erzählt aber nicht nur, sondern beantwortet all unsere Fragen zum Islam. Nicht in allen Punkten sind wir uns einig – aber seine offene und gesprächsbereite Art ermöglicht einen spannenden Diskurs.
Weiter nach Isfahan
In Isfahan erleben wir schliesslich die berühmte Gastfreundschaft der Iraner*innen hautnah. Spontan lädt uns ein junges Ehepaar zu sich nach Hause ein. Mohammed und Mozhdeh wohnen in einer gemütlichen, recht grosszügigen Wohnung in den Aussenbezirken Isfahans.
Am Abend empfängt uns Mozhdeh herzlich an der Tür. Sie legt das Kopftuch ab und bittet uns, es ihr gleichzutun. Wir stehen noch etwas verloren auf dem kunstvoll ornamentierten Perserteppich, als Mozhdeh uns zum flauschigen Sofa führt und uns süsses Gebäck und Kaffee anbietet.
Was sich die Iraner*innen wünschen
Während Mohammed sich zu uns setzt, ist seine Frau bereits wieder in der Küche und beschäftig sich mit dem Abendessens. Ein würziger Duft nach Safranreis breitet sich in der Wohnung aus und weckt unsere Freude auf das Abendessen. Es wird ein vergnüglicher Abend, bei dem sich offene Gespräche über Familie, Ehe, Politik und Religion entwickeln.
Rasch wird uns klar, dass sich die beiden, so wie viele Iraner*innen, einen politischen Wandel und mehr Perspektiven für die Zukunft wünschen.
Nächstes Ziel der Reise ist die 5‘000 Jahre alte Wüstenstadt Yazd. Wir erkunden das Gewirr aus Gassen, Moscheen und Wohngebäuden der aus Lehm erbauten Altstadt, probieren Kamelfleischburger in einem traditionellen Gasthaus und erfahren im Wassermuseum mehr über die genialen antiken Bewässerungssysteme.
Uraltes Bestattungsritual
In Yazd lernen wir eine neue Religion kennen: Bevor die Araber im 7. Jahrhundert den Islam im alten Persien etablieren, herrscht der Zoroastrismus. Wir besuchen den zoroastrischen Feuertempel und erklimmen die Begräbnistürme, die «Türme des Schweigens». Hier hat man früher die Toten aufgebahrt, damit die Geier die Knochen säuberlich vom Fleisch befreien konnten. Das Ziel von diesem uralten Bestattungsritual: Eine Verschmutzung der vier heiligen Elemente Luft, Wasser, Erde und, das heiligste von allen, Feuer, zu verhindern.
Da diese Bestattungsform im Iran seit den 70er Jahren nicht mehr erlaubt ist, kleiden die Zoroastrier*innen die Wände ihrer Gräber mit Beton aus, sodass keine Erde beschmutzt wird. Während die Zoroastrier*innen unter dem letzten regierenden Schah noch relativ viele Freiheiten geniessen, verschlechtert sich ihre Lage seit der islamischen Revolution erheblich. Heute leben im Iran nur noch zirka 25'000 Zoroastrier*innen.
Shiraz, die Stadt der Poesie
Schliesslich erreichen wir die letzte Station unserer Reise: Shiraz, die Stadt der Poesie. Hier sind die zwei berühmtesten Dichter Persiens begraben: Hafis (1320–1398) und Saadi (1184–1282). Wir besuchen das Grab von Hafis, eingebettet inmitten eines schönen Parks.
Junge Iraner*innen treffen sich hier gerne für Picknicks und lauschen der Musik, die aus Lautsprechern ertönt. In seinen Gedichten besingt Hafis die Freuden des Lebens, die Schönheit der Natur und den Wein, der hier in früheren Zeiten angebaut wird.
Das antike Persien gilt gar als das Ursprungsland des Weins. Heute ist der Weinanbau, und allgemein die Herstellung und der Konsum von Alkohol, aus religiösen Gründen verboten. In Shiraz gibt es zwar nach wie vor Rebfelder, die Trauben dienen jedoch allein der Herstellung von Rosinen.
Unsere Zeit im Iran endet in Shiraz und von hier fliegen wir zurück in die Schweiz. Mein Fazit: Der Iran ist ein Land der Widersprüche: Facettenreich, beeindruckend, überraschend und gastfreundlich, manchmal auch aufrüttelnd und irritierend. So oder so: Ich bereise das Land ein zweites Mal.