Massai am Strand
@Daniel Zupanc

Wettspringen mit einem Massai

von Johanna Bukovsky

Entspannte Strandferien auf Sansibar? Das war die Idee von Johanna Bukovsky und Daniel Zupanc. Aber das Globetrotter-Reise-Gen ist stärker. Statt nur auf der faulen Haut zu liegen, erkunden die beiden intensiv die Insel.

Suma schmunzelt. «This is an African massage», sagt der 34-jährige Sansibarer. Wir liegen nicht auf bequemen Massagetischen mit Blick auf den Indischen Ozean, sondern sitzen in einem Taxi. Suma ist kein Masseur, sondern Taxifahrer. Geschickt navigiert er das Auto zwi-schen den tiefen Schlaglöchern über die sandige Piste. Dennoch werden wir heftig durchge-schüttelt. Egal. Der Blick aus dem Fenster ist wie fernsehen: Frauen gehen in traditionellen Gewändern der Strasse entlang, hier Häuser aus unverputzten Ziegeln, dort meterhohe Palmen und immer wieder Verkaufsstände, an denen Kokosnüsse feilgeboten werden. Ei-gentlich wollten wir auf Sansibar bei Badeferien die Seele baumeln lassen. Aber kaum war der Flug gebucht, erwachte unsere Globetrotter-Mentalität. Ein Ausflugsziel hier, ein span-nender Ort dort, und schnell war klar: In das Leben der lokalen Menschen können wir nicht eintauchen, wenn wir uns nur innerhalb der Mauern des All-inclusive-Resorts aufhalten.

Endlich sind wir auf Sansibar angekommen. Während sich Daniel nach der langen Flugreise müde auf das mit Blüten dekorierte Bett fallen lässt, krame ich sofort meine Flipflops aus dem Koffer. Viele kleine Wege führen durch die paradiesische Gartenanlage des Resorts. Überall blüht es, und die Vögel zwitschern. Das Meerwasser schimmert in den unterschiedlichsten Blautönen, der Strand glitzert weiss und fühlt sich weich an. Ich vergrabe meine Füsse im warmen Sand, das kristallklare Wasser umspielt meine Zehen. «Hakuna Matata», ertönt es plötzlich von der Seite, was mich abrupt aus meinen verträumten Gedanken reisst. Ein  Strandverkäufer steht vor mir, ein breites Lächeln im Gesicht und eine Vielzahl von Halsketten in der Hand. Ich setze eine mürrische Miene auf. Er hingegen wiederholt lächelnd seine Worte: «Hakuna Matata». Das bringt mich schliesslich zum Schmunzeln. Die Bedeutung des Satzes kenne ich aus dem Kinofilm «König der Löwen». Es heisst so viel wie «keine Sorgen» und ist das Lebensmotto auf Sansibar.

Etwas später schlendern Daniel und ich in Richtung Nungwi, des kleinen Fischerorts unweit unseres Hotels. Am sehr flachen Strand herrscht bei Ebbe aufgeregtes Getümmel. Das Meer hat seine Schätze  preisgegeben. Ein roter Seestern funkelt im seichten Wasser und bietet ein hübsches Fotomotiv. Man kann sich förmlich vorstellen, wie das Bild auf zahlreichen Instagram-Accounts erscheinen wird. So manch anderes Getier wird hingegen übersehen, wie die unscheinbaren Sandkrabben, die eifrig ihre Löcher graben. Daniel ist der Einzige, der sich auf den Boden legt und vor den Löchern ausharrt, um die Winzlinge zu fotografieren.

Eine junge Touristin läuft an uns vorbei. Der Mann an ihrer Seite zieht neugierige Blicke auf sich. Sein sehniger brauner Körper wird von einem blau-rot karierten Umhang bedeckt. Er ist ein Massai. Ich habe davon gelesen, dass junge Männer ihre Familien auf dem Festland verlassen, um auf Sansibar zu arbeiten. Hier sind sie in der Tourismusbranche tätig: Sie verkaufen Massai-Schmuck, arbeiten in Hotels als Security und treten am Abend mit ihren Stammestänzen auf. Sie schenken den Urlauberinnen gern ihr Lächeln, vielleicht auch mehr. Aber darüber masse ich mir kein Urteil an.
Ein paar Meter weiter wurde der Strand von einer Gruppe junger Massai zu einem Fussballplatz umfunktioniert. Mit dem traditionellen langen Umhang Sport zu treiben, scheint reine Übungssache zu sein. Als wir unseren Spaziergang fortsetzen, schliesst sich uns einer der jungen Männer an. Er lächelt verlegen, und ausser einem schüchternen «Jambo», Swahili für «Hallo», gibt er sich wortkarg. Wir sind unsicher, welche Absichten er verfolgt. Will er uns etwas verkaufen wie die vielen Beachboys? Von Pareos über Tauchgänge bis hin zu Holzschnitzereien wurde uns auf den ersten Metern unseres Strandspazierganges bereits alles Mögliche angeboten. Nach einigen wortlosen Minuten fragt er uns in gebrochenem Englisch, woher wir kommen. «Austria», antworten wir. «Ah, Australia». Die klassische Verwechslung. «No, Austria, in Europe, near Germany». Er runzelt nachdenklich die Stirn. Von Austria und auch von Germany hat er noch nie etwas gehört. Wir fragen ihn, woher er komme. «Arusha», antwortet er mit spürbarem Stolz. Als nun wir ihn fragend ansehen, scheint er verblüfft und versucht seine Heimat mit einigen Stichworten zu beschreiben: «Löwen, Büffel, Nationalpark, in der Nähe vom Kilimandscharo». Das klingt abenteuerlich. Über den in Wolken gehüllten Kilimandscharo, den höchsten Berg Afrikas, sind wir geflogen. Zu dritt marschieren wir weiter strandaufwärts. Er heisse Kipuju. Das klingt nach einem mutigen Krieger, finde ich und male mir aus, wie Kipujus Volk in Arusha wohl lebt. Sein Englisch reicht für eine Unterhaltung nicht aus, aber sein Lachen ist warmherzig.

In Nungwi wird am Strand eifrig gehämmert. Männer reparieren Segelschiffe, Dhows genannt, mit denen sie abends zum Fischen aufs Meer hinausfahren oder Tourist*innen begleitet von afrikanischer Musik übers Wasser schippern. Bereits am nächsten Tag sollen wir mehr über Kipuju erfahren. Der Strand ist sein Revier. Während seine Vorfahren als Nomaden mit ihren Kuhherden durch Tansania zogen, geht er stundenlang den Strand auf und ab. Unser Security-Mann versteht glücklicherweise die Maa-Sprache der Massai und wird kurzerhand zum Dolmetscher. «Meine Familie lebt in Arusha. Ich bin der älteste Sohn und hier, um Geld zu verdienen», erzählt Kipuju. Er deutet auf ein Hotel, das sich noch im Bau befindet. Seit einem Jahr arbeite er hier gemeinsam mit etwa 20 anderen Massai als Security. Wer sich gegen Löwen zur Wehr setzen kann, scheint auch qualifiziert zu sein, Baumaterial zu bewachen. 75 Dollar verdiene er pro Monat, etwa die Hälfte davon schickt er seinen Eltern.
Wir treffen Kipuju nun jeden Tag. Ich habe mittlerweile im Internet über die Massai recherchiert und löchere ihn mit Fragen. Kipuju führt stets mehrere Waffen mit sich: einen langen Stock, eine Keule und ein Schwert. Auf die Frage, wofür die Keule Verwendung finde, wirbelt er sie durch die Luft, schlägt damit auf den Boden, schreit «snake» und grinst. Mir vergeht kurz das Lachen, und ich hoffe, dass er sie auf Sansibar so nicht einsetzen muss. 

Der Stammestanz der Massai fasziniert mich. Dabei springen die jungen Männer, begleitet vom Gesang der anderen, reihum in die Höhe, um sich als Krieger zu beweisen.

Im Turnunterricht in der Schule war ich beim Springen ziemlich gut. Daher fordere ich Kipuju spontan heraus. Wir lachen und hüpfen und lachen und hüpfen. Natürlich habe ich im Duell nicht den Hauch einer Chance, aber jede Menge Spass.


Der Text ist ein Ausschnitt aus der Reportage «Wettspringen mit einem Massai», die erstmals im Sommer 2020 im Globetrotter Magazin erschien.

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