Nan in seiner Küche. © Evelyn Hebeisen

Weltküche: «Sonne für die Seele»

von Michèle Suter

Die wichtigste Zutat beim Kochen sei das Herz, sagt Nan Ornan. Und der schönste Lohn dafür das Lachen seiner zufriedenen Kundschaft. Mit seinem Foodtruck tingelt der Mann aus dem aargauischen Rütihof von Ort zu Ort und zaubert frisches thailändisches Streetfood. Gute Laune gibts gratis dazu.

Aroi sut. Der südthailändische Ausdruck für «sehr, sehr lecker» leuchtet in orangefarbenen Buchstaben auf dem schwarzen Foodtruck von Nan Ornan. Vor der Speisekarte an der Truckwand zeigt ein Wegweiser Richtung Osten. «Thailand 8’929 km» steht darauf. Nan und sein Kollege Pravech stehen heute vor dem FHNW-Campus in Windisch, und das warme Lachen der beiden steckt sofort an. Es ist Januar, das Thermometer zeigt minus zwei Grad Celsius. Als Nan zum ersten Mal in der Schweiz landete, war es auch Winter. Er staunte über die blätterlosen Bäume und befürchtete kurz, sie seien alle dem Klimawandel zum Opfer gefallen.

Zum Empfang gibts knusprige thailändische Frühlingsrollen. Während Evelyn, die Fotografin, und ich sie uns schmecken lassen, erzählt Nan, dass er seine süss-saure Sauce immer mit Gurkenstückchen, Koriander und Schalotten aufpeppt. Das überrascht und erfrischt. Nan steht in seiner Miniküche. Das Öl im Wok blubbert. Schon gibt Nan Nudeln, Tamarindensauce und Palmzucker dazu.

Er bereitet Pad Thai zu – gebratene Reisnudeln. Das traditionelle Gericht sei während des Zweiten Weltkriegs entstanden, sagt Nan. In den Kriegsjahren wurde Reis zu einem sehr teuren Gut, und als Alternative wurden Gerichte aus Weizennudeln populär. Heute sind die Nudeln aber nicht mehr aus Weizen, sondern aus Reis.

Lass die Sonne rein. Pad Thai kennt der 46-Jährige seit seiner Kindheit. In der Strassen-küche seiner Familie haben er und seine beiden jüngeren Schwestern die Nudeln jeweils auf einem Bananenblatt serviert. Für 10 thailändische Baht pro Stunde, umgerechnet 3 Franken, hat er an manchen Tagen nach der Schule 20, 30 Kilogramm Huhn zerlegt. Am Abend wurde die Küche aufgeräumt und gereinigt, am frühen Morgen mussten dann wieder Saucen vorbereitet und Gemüse geschnitten werden. Als Kind, sagt Nan, wollte er nicht Koch werden – obwohl er bereits als Siebenjähriger verschiedene Gerichte zubereiten konnte. Ob er damals in Thailand das Pad Thai genau gleich zubereitet habe? «Ja – genau gleich! Sehr wichtig ist die selbstgemachte Tamarindensauce. In Thailand servieren wir Bananenblüten dazu. Die wachsen in der Schweiz leider nicht.» Zu den heissen Nudeln gibt Nan nun verquirltes Ei, Weisskohl, Tofuwürfel, Karotten und Fischsauce. In der kalten, klaren Luft kommt der köstliche Duft richtig gut zur Geltung.

Aufgewachsen in Nakohn Si Thammarat im Süden Thailands, studierte Nan an der Technikhochschule in Bangkok Maschinenbau. Doch es zog ihn aus der Grossstadt zurück in seinen Heimatort. Dort lebte er ein Jahr lang als Mönch und zog dann nach Krabi, wo er sein grosses Hobby, das Klettern, zum Beruf machte und eine Bar am Meer führte. Nan sagt von sich selbst, er sei ein Beach Boy. Seit ich hier stehe, begleitet mich der Ohrwurm «Sunshine Reggae». Nans Erzählungen wecken in mir die Sehnsucht nach Sonne und Meer. Die thailändische Wärme ist denn auch das, was er hier am meisten vermisst.

Mit viel Liebe. In Krabi lernte Nan vor 23 Jahren seine heutige Frau Karin kennen. Die Schweizerin reiste damals durch Thailand, die beiden verliebten sich ineinander. Sie führten eine Fernbeziehung, schrieben sich Briefe, und zweimal im Jahr reiste Karin nach Thailand. Nach ihrer Ausbildung zur Primarlehrerin zog sie zu Nan, unterstützte ihn in der Bar und übernahm später in Krabi eine Pferdefarm. Nachdem sie die Pferde aufgepäppelt und die Farm auf Vordermann gebracht hatte, bot sie Pferdetouren für Touristen an.

Seit ihrer Hochzeit 2001 pendelten Karin und Nan zwischen Thailand und der Schweiz. Ihre beiden Kinder wurden in Thailand geboren, und als diese im Schulalter waren, zog die Familie in die Schweiz. Auf die Frage, was seine Eltern heute machen, sagt Nan: «Still cooking.» Schwungvoll mischt er nun Mungbohnensprossen, Rucola und Schnittknoblauch unter die Nudeln. Er strahlt.

Obwohl der grosse Ansturm für heute vorbei ist, kommt noch immer hungrige Kundschaft zum Foodtruck. Nan begrüsst sie mit einem charmanten «Grüezi, grüezi, long time no see». Glückliche Kunden sind für ihn das Wichtigste. Sein Essen soll allen schmecken. Der Randständige, der gerade sein Mittagessen bestellt, erhält eine grosse Portion Massaman-Curry aufs Haus. Und in Birmenstorf, erzählt Nan, kommen die Kinder auf dem Nachhauseweg von der Schule bei ihm vorbei. Ihr Lachen, wenn sie in eine frische, knusprige Frühlingsrolle beissen, sei sein grösster Lohn.

Nan lacht viel und sagt von sich, er liebe das Leben. «Always smile like the sun» ist seine De-vise. Zum Schluss dekoriert er das Pad Thai mit Erdnüssen, Chiliflocken und Limetten. Und schon füllt er für Evelyn und mich eine grosse Schale mit Pad Thai, Frühlingsrollen und Krevetten-Tempura. Und was soll ich sagen? Jeder einzelne Bissen ist sehr, sehr lecker!

Pad Thai mit Tofu (für 4 Personen)

250 g Reisnudeln

1–2 h im kalten Wasser eingelegt (z. B. von Thai Kitchen, erhältlich beim Schweizer Grossverteiler)

4 EL Tamarindensauce

2 EL Palmzucker

2 Eier, verquirlt

¼ Weisskohl, fein geschnitten

150 g Tofu, in Würfel geschnitten, im Voraus angebraten/frittiert

2 EL Fischsauce

1 fein geschnittene Karotte

2 Handvoll Mungbohnensprossen 2 Handvoll Rucola

8 Stangen Schnittknoblauch, grob gehackt

1 Handvoll Erdnüsse, zerstossen

1 Limette, geviertelt

Chiliflocken nach Belieben

Öl im Wok erhitzen, Reisnudeln aus dem Wasser nehmen und mit Tamarindensauce und Palmzucker in den Wok geben. Gut mischen. Ei, Weisskohl, Tofu und Fischsauce hinzufügen. Sobald das Ei fest ist, Hitze minimieren und Karotten, Mungbohnensprossen, Rucola und Schnittknoblauch hinzufügen. Gut mischen und schnell auf Teller verteilen. Mit Erdnüssen, Limette und Chiliflocken garnieren.

In der Serie «Weltküche» blickt das Globetrotter-Magazin Köchinnen und Köchen aus aller Welt, die in der Schweiz Spezialitäten aus ihrer Heimat kochen, bei der Arbeit über die Schulter.

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