Küchenchef Mohammed

Tunesien - Im Café Nirgendwo

von Peter von Stamm

Seine Gaststätte liegt im Niemandsland, mitten in der tunesischen Sahara. Bis in die nächste Stadt sind es mehrere Autostunden durch die Wüste. Und doch sagt Mohammed, sein Geschäft laufe gut. Autor Peter von Stamm hat den tunesischen Nomaden und Cafébetreiber besucht.

Zu Mohammed ist es ein langer Weg. Sein Café Tembain liegt in der Wüste, oder besser: irgendwo im Nirgendwo, in der tunesischen Sahara, etwa 120 Kilometer südlich der Stadt Douz. Ringsum nur Sand. Zur algerischen Grenze im Westen sind es 100 Kilometer, nach Libyen im Osten etwa 200. Drei Stunden Autofahrt durch nichts als Wüste hat vor sich, wer in Mohammeds Café Tembain am Fusse des gleichnamigen Bergs im Wüstengebiet «Grand Erg Oriental» eine Brik essen oder von seinem frisch gebackenen Sandbrot probieren möchte.

Mohammed ist Ende 40 und Nomade. Eigentlich. Er ist stolzer Besitzer von 20 Dromedaren, die zu einer 100-köpfigen Trampeltierherde gehören und von befreundeten Viehhirten gehegt und gepflegt werden. Die Hälfte des Jahres kümmert er sich selbst um die Tiere. Die übrige Zeit, von Oktober über den Winter bis in den Mai, betreibt Mohammed das kleine Café. In einer Abgeschiedenheit, wie sie nur von den Söhnen der Wüste zu ertragen ist.

Sandbrot. Es ist früher Morgen und die Sonne ist gerade erst über die Kämme der Dünen gekrochen. Eben hat Mohammed noch am Lagerfeuer hinter dem Gebäude gehockt und im Sand ein Brot gebacken. So machen es die Nomaden in der Sahara: Ein paar Stunden brennt das Feuer und erhitzt den Sand. Dann werden Glut und Asche beiseite geschoben, und ein Brotteig wird zu einem grossen runden Fladen geklopft, auf den glühend heissen Boden gelegt und schliesslich wieder mit Sand, Glut und Asche luftdicht abgedeckt. Eine knappe halbe Stunde später ist das Brot fertig, wird ausgegraben, mit einem Tuch abgeklopft und serviert. Es schmeckt köstlich!

Jetzt steht Mohammed, der Nomade, in der winzigen Küche seines Cafés und bereitet mir eine Brik zu. Auch diese Speise ist eine tunesische Delikatesse: Weizenteig wird hauchdünn ausgerollt, mit einer Füllung aus Ei, Gemüse, Harissa und Kräutern zu einer dreieckigen Teigtasche geformt und frittiert.

Mohammed ist für eine Überraschung gut: Gekleidet in traditioneller Tracht aus einem luftigen, blauen Umhang, den man Jebba nennt, und mit der Kopfbedeckung Chech, einer langen Stoffbahn, die turbanartig um den Kopf gewickelt wird, brutzelt Mohammed Zutaten in der Küche – und spricht Deutsch!

"Gekleidet in traditioneller Tracht aus einem luftigen, blauen Umhang, den man Jebba nennt, und mit der Kopfbedeckung Chech, einer langen Stoffbahn, die turbanartig um den Kopf gewickelt wird, brutzelt Mohammed Zutaten in der Küche – und spricht Deutsch!"

Mehrere Jahre lang arbeitete Mohammed auf der tunesischen Touristeninsel Djerba und verdingte sich in einem der Hotels als Kellner. Um mit den hellhäutigen, meist aus Deutschland stammenden Urlauber*innen ein Schwätzchen halten zu können, lernte der drahtige Mann mit der gegerbten Wüstenhaut Deutsch. Dann wehte die Revolution durchs Land, die Tourist*innen blieben eine Zeit lang weg, und Mohammeds Vater rief seinen Sohn zurück ins heimische Douz. Der Insel kehrte er den Rücken, seine Leidenschaft für die deutsche Sprache blieb.

Mittelwellenrauschen. Wenn Mohammed abends allein vor dem kleinen Kofferradio in seinem Café sitzt, betätigt er den Sendersuchlauf so lange, bis ihm eine deutsche Stimme zu Ohren kommt. Dann freut er sich wie ein kleiner Junge, und sei das Mittel- oder Kurzwellenrauschen noch so knarzig. Das grosse Sandmeer «Grand Erg Oriental» erstreckt sich von Nordalgerien bis hierher in den Südwesten Tunesiens. Wüstenabenteurer*innen, die sich von tunesischen Fahrern in riesigen Geländewagen über verwehte Pfade und Pisten durch das ewige Meer der Saharadünen kutschieren lassen, kämen wieder häufiger in sein Café. Das Geschäft laufe derzeit gut, erzählt mein Gastgeber.

Bei Mohammed kann man auftanken, und das im wahrsten Sinne des Wortes: Es gibt dunklen Kaffee, süssen Tee, Cola und Wasser, und wer mag, darf auch ein Glas Dromedarmilch probieren. Aber Vorsicht, mahnt Mohammed und grinst schelmisch: Wer es übertreibe und nicht gewohnt sei, die Milch seiner Tiere zu trinken, müsse sicher «ganz schnell hinter einer Düne verschwinden». Das Zeug ist lecker, entwickelt bei Ungeübten aber durchschlagende Wirkung. Wohl dem, der anschliessend keinen Wüstenritt im Offroader vor sich hat…

Landmarke. Der Berg Tembain ist eine wichtige Landmarke sowohl für Nomaden als auch für die Fahrer der Geländewagen, mit denen Tourist*innen durchs Dünenmeer chauffiert werden. Zum Beispiel zum kleinen Zeltlager «Camp Mars» auf der anderen Seite des Bergs. Dort hat das Ehepaar Riadh und Célia Mnif aus Tunis vor ein paar Jahren ein besonderes Reiseziel erschaffen: eine Art mobile Wüstenhotelanlage. Je nach Bedarf werden im Herbst 20 bis 30 komfortable Zelte mit Betten, Toiletten und Teppichen auf- und im Frühsommer wieder abgebaut.

Von «Camp Mars» profitiert auch Mohammed. Sein Einsiedlerleben in der Sahara wird ab und an vom Besuch der Geländewagenfahrer unterbrochen. Hier können sie ein Schwätzchen halten, telefonieren, auftanken und aufladen. Direkt vor dem Café ist der einzige Ort weit und breit, wo es Mobilfunkempfang gibt. Dank den Solarzellen neben dem Gebäude kann man im Café auch das Handy aufladen.Und neben Speis und Trank hat Mohammed immer ein paar Reservekanister Diesel im Verschlag stehen. Ein kleines, gutes Geschäft, solange die Tourist*innen in die Sahara kommen.

Im Sommer kämen keine Urlauber*innen in die Wüste, erzählt Mohammed. Nomaden wie ihm würden Temperaturen von 55 Grad Celsius nichts ausmachen, aber für Reisende sei es dann «zu warm». Zum Glück habe er ein zweites Standbein: seine 20 Dromedare in der Heimatstadt Douz, 120 Kilometer weiter nördlich. Das seien alles weibliche Tiere. So habe er Milch, die er auf dem Markt in Douz verkaufen oder unter Befreundeten und Bekannten verschenken könne. Seine Frau und den kleinen Sohn würde er in Douz auch wiedersehen. Am liebsten sei er aber hier in der Sahara. In der Stille des Dünenmeers. Irgendwo im Nirgendwo.


Dieser Text ist erstmals im Herbst 2019 im Globetrotter-Magazin erschienen.

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