Ein Café im Viertel Maboneng in Johannesburg © South African Tourism

Interview mit Monika Schärer

von Miriam Zollinger

Im Reisemagazin «Einfachluxuriös» buckelte Monika Schärer 2003 ihren Rucksack und lebte in einem Township. Heute besitzt sie ein Haus in Johannesburg. Auf der TELE-Leserreise will sie die grösste Stadt des Landes von einer neuen Seite zeigen. „Keine abgelutschten Sachen“, verspricht sie.


War jene Rucksackreise Ihre erste Begegnung mit Südafrika?
Nein. Mein Mann hat in Kapstadt viele Werbespots gedreht. Und ich selber reiste 1997 mit einer Freundin erstmals hin. Wie es dazu kam, ist eine sehr spezielle Geschichte – ich erzähle sie dann auf der Reise. Toller Cliffhanger, nicht? (Lächelt.)

Und welche Geschichte steckt hinter Ihrem Haus in Johannesburg?
Als wir 2014 Freunde besuchten, landeten wir in Maboneng in Downtown Joburg. Das ist ein gentrifiziertes Quartier mit vielen Bars, Buchläden und Boutiquen, wo sich Schwarz und Weiss mischen. Wir tranken ein Bier und konnten nicht glauben, dass das Johannesburg sein soll – die Stadt, von der man denkt, sie sei viel zu gefährlich, um zu Fuss unterwegs zu sein. Und weil wir schon lange davon träumten, ein Haus zu renovieren, uns dies in der
Schweiz aber nicht leisten könnten, schauten wir uns in Johannesburg ein paar alte Häuser an. Am 1. November 2014, es war ein Samstag, fanden wir unser Traumhaus! Seither waren Sie viele Male dort.

Wie erleben Sie die Südafrikaner?
Als unkompliziert, praktisch, geerdet. Ich habe noch nie so freundliche Menschen wie in Johannesburg erlebt. Geht man am Sonntag durch den Park, sagt jeder Hallo. Wenn ich in einem Laden nach Mehl suche, fragt die Verkäuferin immer zuerst, wie es mir geht. Man hat stets etwas zu lachen und redet mit allen.
 

Weniger schön waren die Unruhen im September. Wie präsentiert sich die Sicherheits-lage heute?
Man kann sie mit Städten wie Paris, London oder Berlin vergleichen. Die Welt ist unsicherer geworden. Was die Unruhen angeht: Die schwarzen Südafrikaner haben ein Problem mit den vielen Migranten aus Simbabwe, Malawi oder dem Kongo. In Johannesburg treffen über fünfzig Nationalitäten aufeinander, das sorgt für Eifersüchteleien. Hässliche Geschichten, innenpolitisch nach wie vor ungelöst. 

Wie hat sich das Land gewandelt über die Jahre, seit Sie es kennen?
Eine grosse Änderung gab’s 2018. Der African National Congress ANC wählte einen neuen, meiner Meinung nach fähigen Präsidenten. Doch auch Ramaphosa wird das Land nicht von heute auf morgen ändern können, das ist das grosse Problem.

Inwiefern?
Egal, mit wem man spricht, man merkt, dass mit dem Ende der Apartheid 1994 wahnsinnig viele Hoffnungen entstanden. Nelson Mandela war eine grosse Figur, doch nicht alle seine Versprechungen wurden erfüllt. Vieles hat mit der Ausbildung zu tun, und das lässt sich nicht sofort ändern. Es gibt so viele junge Arbeitslose in Südafrika, fast 50 Prozent. Es fehlen Ausbildungssysteme, wie wir sie haben: Die Leute sind immer nur angelernt.
 

»Ich habe noch nie so freundliche Menschen wie in Johannesburg erlebt. Geht man am Sonntag durch den Park, sagt jeder Hallo.«

Sie sprechen Mandelas Vision einer gleichberechtigten Nation an.
(Nickt.) Nehmen wir zum Beispiel eine schwarze und eine weisse Studentin. Die schwarze wird vielleicht sogar bevorzugt, kann also eher an eine Uni. Aber die schwarze lebt traditionellerweise viel weiter weg von der Universität und hat kein Auto. Und da das Apartheidsystem es nicht schaffte, einen ÖV zu etablieren, steht sie zwei Stunden früher auf, muss
verschiedene Minitaxis nehmen, um hinzukommen. 

Das kostet viel Geld, weil da eine Mafia dahintersteckt. Nach dem langen Heimweg am Abend hat sie zu Hause womöglich keinen Raum, um in Ruhe zu lernen, und besitzt keinen Compi. Das ist die Ausgangslage.

Den Computer kauft sie sich dann aber vom ersten Lohn.
Nein, sie bezahlt damit erst mal die Zahnprothese ihres Grossonkels und, und, und. Die Le-benswirklichkeit der Schwarzen ist eine ganz andere als jene der Weissen, das ist nach wie vor eines der Probleme im Land. Doch trotz allem ist Südafrika wunderschön, es hat so viel zu bieten für Touristen: Landschaft, Tiere, Nationalparks, Städte, Strände, Weingüter, tolle Beizen.

Damit wären wir bei der TELE-Leserreise. Haben Sie absichtlich den Oktober dafür gewählt?
Natürlich (schmunzelt). Wenn man dann in Johannesburg spazieren geht, blühen die Jacarandas. Zwischen Universität und Zoo hat es ganze Alleen davon. Man meint, man sei im falschen Film – das haut einen schlicht weg!

 

Dieses Interview mit Monika Schärer erschien erstmalig im TV-Magazin TELE Nr. 45 anlässlich der geplanten Leserreise durch Südafrika im Herbst 2020, die wegen Corana abgesagt werden musste.