Madaraka-Express

Gestrandet – «Mombasa»

von Florian Sturm

Als ich in Nairobi lande, ist das bislang teuerste Infrastrukturprojekt Kenias ein halbes Jahr alt. Mit dem Madaraka-Express will Staatspräsident Uhuru Kenyatta die goldene Vergangenheit Kenias als Eisenbahnland wieder aufleben lassen. Mehr als 100 Jahre lang war die von britischen Kolonialherren gebaute Schmalspurbahn die Lebensader Ostafrikas. Sie führte von der Hafenstadt Mombasa über Nairobi bis ins benachbarte Uganda. Inzwischen hat der Lunatic-Express ausgedient: unzuverlässig, marode, nicht rentabel, häufig sogar tödlich. Das Geld für das neue Bahntrassee, im Mai 2017 feierlich eingeweiht, kommt mehrheitlich aus China.

Viermal am Tag verkehrt der neue Schnellzug zwischen Nairobi und Mombasa. Was ich nicht wusste: Wie im Flugzeug ist jede Buchung an einen Sitzplatz gekoppelt. Ein Ticket für übermorgen oder nächste Woche? «Unmöglich», entgegnen mir die Einheimischen. Der kenianische Nationalfeiertag, Weihnachten, Silvester – alles im Dezember. Und den Weg zur Küste oder zurück in die Hauptstadt wollen viele mit dem Zug zurücklegen. Mein Plan, im Madaraka-Express von Nairobi nach Mombasa zu fahren und auf dem Rückweg mit den traditionellen Tuk-Tuks und Matatus die alte Bahnstrecke zu erkunden, ist geplatzt.

Also erst einmal mit dem Bus ans Meer und zurück auf dem Gleis. Irgendwie. Im Bus werde ich von Chi-Chi angesprochen. Kenianerin, Mitte 40, zierlich, viel Lippenstift. Sie habe mitbekommen, dass ich aus Deutschland bin. Ein wunderbares Land. Ihre Schwester sei mit einem Manager aus Frankfurt verheiratet. Ein lustiger Zufall, denke ich, und berichte von meiner Schwierigkeit, an ein Zugticket zu kommen. Chi-Chi bestätigt, was ich bislang nur gerüchteweise gehört habe: Mitarbeiter von Kenia Railways nehmen die Fahrkarten gezielt aus dem offenen Verkauf, um sie für ein Vielfaches auf dem Schwarzmarkt anzubieten.

Sie könne mir helfen, an ein Ticket zu kommen, sagt Chi-Chi. Ein Bekannter sei «Travel Agent», er habe sie noch nie enttäuscht. Ist das die Rettung meiner Story? Ich bin mit einem Stipendium in Kenia – explizit für eine Fahrt mit dem neuen Zug. Was wird die Stiftung sagen, wenn sie erfährt, dass ich ihr Geld auf dem Schwarzmarkt investiert habe? Also gut, Zweifel hin, Bauchschmerzen her. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Chi-Chi steht pünktlich um 13 Uhr am Hostel. Glitzer-Jogging-Outfit, riesige Sonnenbrille. Im Wagen wartet Moseti, der Cousin einer Freundin. «Unser Fahrer für heute», sagt sie gut gelaunt. 100 Dollar für den Tag, das sei doch nicht zu viel. Wir einigen uns auf 80. Zu dritt fahren wir zum Bahnhof. Chi-Chi will mich vor Ort in den Zug diskutieren: Ich als Journalist könne für meine Geschichte doch wohl auch ohne Ticket mitfahren. Zweieinhalb Stunden quälen wir uns im Auto durch Mombasa, erreichen den Bahnhof nur Minuten nachdem der um 16 Uhr schliesst. Nichts zu machen, deuten die bewaffneten Soldaten am Eingangstor an.

Also doch der Travel Agent. Mit ungutem Gefühl reiche ich Chi-Chi meinen Reisepass. Sie müsse Name, Geburtsdatum und Passnummer weiterleiten, jedes Ticket sei personalisiert. «Und du musst bar bezahlen», ergänzt sie beiläufig. Wo bin ich hier hineingeraten?, rattert es durch meinen Kopf, während wir in die Stadt zurückfahren. Warum hilft mir Chi-Chi? Wer ist dieser Travel Agent? Und was macht er gerade mit meinen Reisepassdaten?

An einem Automaten hebe ich Geld ab.
«Du hast Glück», sagt Chi-Chi, als ich zurück ins Auto steige, «gerade als du weg warst, rief mein Bekannter an: Er hat ein Ticket für dich. Leider nur noch 1. Klasse, aber das ist sicher kein Problem.» Moseti fährt uns zur Strandbar eines Luxusresorts. Den Erfolg müssen wir feiern – selbstredend auf meine Kosten. Und über den Preis des Tickets sprechen. Chi-Chi verlangt 95 Euro. Am Schalter würde die Fahrt umgerechnet 27 Euro kosten. Ich bin bereit, 60 Euro zu bezahlen – aber erst, nachdem ich die Buchungsnummer überprüft habe.

Es folgt eine der unruhigsten Nächte meines Lebens. Magenkrämpfe, Durchfall, Schweissausbrüche. Reagiere ich über und die Dinge laufen hier so? Oder bin ich einer Betrügerbande aufgesessen, die mein Geld kassiert, ohne dass ich danach mit dem Madaraka-Express fahren kann? Um 6 Uhr 45 wähle ich die Nummer der Buchungshotline. Nichts. Ich wähle erneut. Besetzt. Chi-Chi wird ungeduldig. Per SMS fragt sie, wann sie ihr Geld bekomme. Ihr Ton ist nicht mehr freundlich. Meiner ebenfalls nicht. Aus Hilfsbereitschaft ist Business geworden.

«Ich muss erst den Buchungscode prüfen. Wenn alles okay ist, zahle ich.»

«Wieso vertraust du mir nicht? Ich habe das Geld für dein Ticket ausgelegt und will es jetzt wieder.»

«Erst der Buchungscode.»

Keiner meiner 98 Anrufe bei der Hotline wird entgegengenommen. Weil dort am Samstag niemand arbeitet, wie ich später erfahre. Obwohl mir mein Gewissen davon abrät, kaufe ich das Schwarzmarkt-Ticket. Nur so kann ich die verabredete Reportage liefern. Chi-Chi kommt erneut zum Hostel. Misstrauen und Zorn stehen zwischen uns, meidende Blicke, nur die nötigsten Worte. Mit dem Ticket in der Hand mache ich einen letzten Test, scanne den QR-Code. Statt der Buchungsdetails erscheint «Error» auf dem Display meines Handys. «Das Ticket ist echt», versichert Chi-Chi genervt und entrüstet zugleich.

Am nächsten Tag fahre ich zum Bahnhof. Als ich die Fahrkarte in den Automaten schiebe, rechne ich mit Sirenen, Warnleuchten und heranstürmendem Sicherheitspersonal. Stattdessen: grünes Licht. Das Ticket vom Schwarzmarkt ist echt.

Die Kurzreportage «Mombasa» von Florian Sturm stammt aus der Serie «Gestrandet» des Magazins REPORTAGEN.

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