Koenigspinguine Volunteer Beach
Königspinguine auf den Falklandinseln © Klemens Pütz

Aus dem Buch «unverfrorene Freunde»

von Klemens Pütz

Feldforschung ist nichts für Weicheier. Treuliebende Partner und turtelnde Traumtänzer in Abendgarderobe unterm Polarlicht sind zwar beliebte Filmmotive, ich selbst habe so etwas allerdings in meiner ganzen Forscherlaufbahn noch nie zu sehen bekommen. Mein Alltag als Pinguinforscher ist eher unromantisch. Eine Pinguinkolonie riecht wie Fischmarkt am Abend, nur dreimal so schlimm. Ich bekomme Ehekriege, Prostitution und Gewalt zu sehen, und Karateschläge zwischen die Beine. Die Narben an meinen Händen weisen mich als Ornithologen aus – Pinguinschnäbel sind scharf –, und das Geschrei Zehntausender Brutpaare geht über die Jahre auf die Ohren. Und doch kann ich mir keinen besseren Beruf vorstellen. Meine Arbeit bringt mich an die frische Luft, darüber hinaus ist sie häufig zum Brüllen komisch: Wenn Königspinguinküken ihren Pubertätsrappel kriegen, lache ich mich kringelig. Im Teenageralter sehen sie aus wie kuschelige Kaffeewärmer, und wenn sie flügge werden, bekommen sie oft absurde Anfälle. Sie rennen dann ziellos umher und einander über den 
Haufen, schlagen mit den noch nutzlosen Flauscheflügeln und verkloppen voller Enthusiasmus jeden Kollegen, der ihnen im Weg steht. Ist das Wahnsinn? Oder einfach die reine Lebensfreude? Ich weiss es nicht, aber witzig ist es in jedem Fall.
Wenn ich auf dem Boden liege – auf den mild temperierten Falklandinseln geht das gut – und ganz still bin, fangen sie irgendwann an, auf mir herumzuklettern. Pinguine sind gerne obenauf; ich werde für sie zum Ausguckfelsen, und sie verteidigen mich, ihr Revier, auch gegen etwaige Konkurrenz.

Seit fast dreissig Jahren arbeite ich nun mit diesen schrägen Vögeln. In all den Jahren habe ich mich nicht einen einzigen Tag gelangweilt, so faszinierend sind diese Tiere. Mit meiner Begeisterung stehe ich nicht allein da: Auf YouTube schlittern Pinguine vor Millionen von klickenden Zuschauern Eisberge hinunter, in Kinderbüchern tragen sie Schals, sie verhelfen Dokumentarfilmern zu Oscars, und Linux-Fans nutzen sie als ihr Logo. Ihre fürsorgliche Brutpflege, ihr komplexes Sozialverhalten und ihre scheinbare Unbeholfenheit an Land machen sie sympathisch. Und überhaupt der aufrechte Gang: Sie laufen auf zwei Beinen! Pinguine sind hochindividuelle Wesen und doch kaum jemals allein anzutreffen.

Meist watscheln sie im Pulk einher. Dabei sind sie so stilvoll, dass ihr Designer eigentlich einen Preis bekommen müsste.Pinguine sind allerdings mehr als nur putzig: Sie haben uns einiges zu sagen. Sie leben unter extremen Bedingungen und vollbringen Anpassungsleistungen, von denen wir Menschen nur träumen können, sowohl an Land als auch im Wasser. Ändert sich an diesen Bedingungen etwas, zeigen uns das die Pinguine sofort. An ihnen sehen wir, wo es klemmt – in einem Ökosystem, auf dessen Erhalt auch wir Menschen angewiesen sind. Pinguine leben in zwei Welten. 

»Sie haben uns einiges zu sagen. Sie leben unter extremen Bedingungen und vollbringen Anpassungsleistungen, von denen wir Menschen nur träumen können, sowohl an Land als auch im Wasser.«

An Land kommen sie eigentlich nur zur Familiengründung. Partner finden, Eier legen, Nachkommen aufziehen. Und einmal im Jahr Gefiederwechsel. Das alles erledigen sie auf nüchternen Magen, denn um an Nahrung zu kommen, müssen sie auf hohe See. Fliegen können sie nicht – genau genommen erst bei Sturm von vierhundert Kilometern pro Stunde, wie Wissenschaftler berechnet haben. Die Wahrheit ist: Sie fliegen unter Wasser. Bis zu siebzig Prozent ihrer Lebenszeit verbringen die Seevögel schwimmend und nach Futter tauchend in den Weiten der Ozeane. Hier zeigen sie ihre Meisterschaft: Bis zu 25‘000 Kilometer können Pinguine zurücklegen, ohne je an Land zu gehen. Mit Entfernungen haben Pinguine nicht nur kein Problem, vermutlich war Distanz für sie sogar lebensrettend. Sie kommen nur auf der Südhalbkugel vor, was den Europäern die kommerzielle Ausnutzung der Ressource Pinguin zumindest etwas erschwerte. Was kaum jemand weiss: Zu Robben- und Walfangzeiten, als man diese Tiere ihres Fettes wegen jagte, nutzte man Pinguine, um die Kessel zu beheizen. Brennholz ist in der Subantarktis Mangelware, und ein Pinguin hat den Brennwert von einem Brikett. Nicht umsonst wurde der Vogel von den ersten Antarktisfahrern als »Patagonische Fetthenne« bezeichnet.

Allein auf den Falklandinseln, wo ich seit den Neunzigerjahren forsche, hat man auf diese Weise rund zwei Millionen Felsenpinguine verfeuert. Die Bestände haben sich bis heute nicht erholt. Nicht alles, was mit Pinguinen zu tun hat, ist also niedlich – vor allem, wenn wir Menschen involviert sind. Ich halte viele Vorträge, unter anderem auf Kreuzfahrt- und Expeditionsschiffen, und immer ist mir wichtig, mit den vielen Märchen und Mythen, die sich um Pinguine ranken, aufzuräumen. Diese Tiere sind so faszinierend, dass die Realität ohnehin spannender ist als jedes Klischee.


Seit fast dreissig Jahren erforscht Klemens Pütz das Leben von Pinguinen. Dafür reist er jedes Jahr für mehrere Monate in die Antarktis und in andere Regionen, in denen die Tiere leben.

Nun gewährt er in seinem Buch „Unverfrorene Freunde“ erstmals umfassend Einblick in den Alltag dieser faszinierenden Vögel und erklärt, was wir tun müssen, um sie zu schützen. 
Der Text auf dieser Seite ist ein Auszug aus seinem Buch, das im Ullstein Buchverlag erschienen ist: www.ullstein-buchverlag.de  Erhältlich in jeder guten Buchhandlung. 
 

 


Klemens Pütz ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Antarctic Research Trust. Das Ziel dieser Stiftung ist es, wissenschaftliche Forschung an antarktischen und subantraktischen Tieren durchzuführen bzw. zu unterstützen, um sie und ihren Lebensraus besser schützen zu können.