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Erich Gysling in Zimbabwe

Zimbabwe-Reise: fast zu schön, um wahr zu sein?

Ein Zimbabwe-Reisebericht von Erich Gysling

Wie es den Besitzern von Lodges und Camps, den Eignern von Booten auf dem Karibasee und den Betreibern der Touristenbusse gelungen ist, rund zwei lange Jahrzehnte wirtschaftlicher Krise mit gleich bleibender Qualität über die Runden zu kommen, ist deren Geheimnis. Vor allem aber das Resultat eines zähen Durchhaltewillens. 

Manche von ihnen haben «dank» Inflation in unglaublicher Millionenhöhe pro Jahr (das gilt vor allem für die Jahre um 2008 und 2009) zwischenzeitlich fast Alles an Erspartem verloren. Ich kenne einen Camp-Besitzer, der seine Bungalows verkaufte, um dem eigenen Vater eine Spitalbehandlung zu ermöglichen. Er hätte ausreisen, alles hinschmeissen können, aber er tat es nicht – fühlte sich als (weisser) Zimbabwer und verharrte in seinem Glauben an eine bessere Zukunft des Landes.

Haben sich seine Hoffnungen erfüllt? Er weiss es selbst nicht so richtig. Nach Mugabes Entmachtung wurde Emmerson Mnangagwa Staatspräsident, Übername im Volk: «Krokodil». Weshalb? Einerseits, weil er in seiner früheren Karriere (lange arbeitete er treu für Mugabe) meistens Lacoste-Leibchen trug, anderseits auch wegen seines zubeissenden Charakters. Den soll er nun, zumindest teilweise, abgelegt haben (wohin?). Also gibt es in einem Land, das sich an Hoffnungslosigkeit gewöhnt hatte, eben doch wieder etwas Hoffnung. 

Zu recht oder nicht? Auf einer Fahrt durch das Land stellt der Camp-Besitzer fest, dass er jetzt, im Gegensatz zu früher, bei den vielen (überflüssigen) Polizeikontrollen wenigstens kein Schmiergeld mehr bezahlen muss, um weiter zu kommen. 


Zimbabwe wurde, nach der Enteignung der meisten weissen Farmer durch das Mugabe-Regime, international geächtet, von den USA und von Grossbritannien mit Sanktionen bedacht. Auf den einst intensiv bearbeiteten Feldern der vom Regime verhassten Weissen sollten landlose, einheimische Bauern angesiedelt werden. «Kämpfer» gegen das frühere, der Apartheid ähnliche, Regime der weissen Minderheit. Etwas eigenartig mutete von Anfang an, dass der «Kämpfer-Status» vererbbar ist, d.h. die von der Landreform Begünstigten hatten meistens gar nicht am Befreiungskampf teilgenommen. Und die meisten konnten oder wollten das ihnen nun zugeteilte Land nicht effizient bewirtschaften. Resultat (man sieht es schockierend breitflächig, wenn man durch Zimbabwe fährt): verlassene, nicht bewirtschaftete Felder, auf denen sich immer dichter die Büsche und Bäume breit machen und mancherorts schon die Euphorbien (schön aussehende, aber intensiv giftige Wolfsmilchgewächse) in die Höhe wachsen. Resultat auf höherer Ebene: Zimbabwe, das noch bis in die neunziger Jahre Getreide und andere landwirtschaftliche Güter exportierte, muss jetzt einen Grossteil seines Nahrungsbedarfs importieren. Die Wirtschaftsleistung schrumpfte um 45 Prozent – das ist die offizielle Zahl, die wirkliche dürfte erheblich höher liegen. Wahrscheinlich sind fast 90 Prozent arbeitslos oder halten sich in der Schattenwirtschaft, mit dem Verkauf von kleinen Gütern an Strassenkreuzungen zum Beispiel, am Leben. Einige der riesigen Agrarflächen der früheren weissen «Kolonisten» haben chinesische Konzerne erworben. Der Verdacht ist nicht unbegründet, dass China plant, dieses Engagement irgendwann noch massiv auszubauen. Als Durchreisender kann man sich, bei aller Skepsis gegen das internationale «land-grabbing», fragen, ob das schlimmer wäre, als die hunderte von km2 weiterhin brach liegen zu lassen.


Aber wir waren nicht in Zimbabwe, um uns von solchen Fragen die Reisetage zermürben zu lassen – wir wollten den Nationalpark Mana Pools besuchen, einige Tage auf dem Kariba-See zubringen und einen Schlusspunkt in Victoria Falls setzen. Taten wir, gegen Ende September / Anfang Oktober, alles. Wir lernten viel, nicht nur über den Zustand des Landes, sondern auch über das Management eines Nationalparks.

Nun darf ich für das Folgende vorausschicken: ich leite für «Background Tours» seit 1996 Touren in die afrikanische Natur. Zusammen mit lokalen Rangers unternehmen wir auch, seit Jahren, zu Fuss lange Wanderungen durch die so genannte Wildnis. Ich habe insgesamt wohl mehr als hundert Einzel-Tage so verbracht. Sehen wir Löwen, Elefanten, Büffel etc., finden wir das wunderbar – aber wir halten die gebotene Distanz. Das gelingt, bei etwas Disziplin, fast immer. Und Alle, die an solchen Wanderungen teilnehmen, erhalten vor dem Beginn der Wanderung, Anweisungen, an die sie sich halten müssen. 

Was ich in Mana Pools am Zambezi indirekt mit bekam, war allerdings etwas (problematisch) Einmaliges. Nur in diesem Nationalpark dürfen Touristen, unbegleitet, allenfalls auch kenntnislos, aus dem Fahrzeug aussteigen, herumlaufen, sich den Tieren nähern. Und dem entsprechend gibt es in diesem Park auch Unfälle. Nicht so viele zwar, wie jüngst in den Medien, nach dem Tod einer deutschen Reisenden, kolportiert, aber dennoch mehr als irgendwo sonst.

Auch wir gingen zwischendurch zu Fuss im Park herum – aber mit Rangers und unter deren „Kommando“. Wir konnten uns so sogar einer Gruppe von Wildhunden nähern – aber wir wussten immer, wie viel Distanz wir halten mussten, scheinbare «Harmlosigkeit» der betreffenden Gruppe von Wildhunden (weil sie eben gefressen hatten) hin oder her. Kommt man zu nahe, greift das Tier an, denn der Jagdtrieb ist meistens getrennt vom Fresstrieb, vom Hunger.  Also hielten wir die gebotene Distanz eben ein. 


Auf knapp zwei Tage Mana Pools folgten fast fünf Tage auf dem Kariba-See. Wer immer das unternehmen möchte, dem oder der sei geraten: Schauen Sie sich das betreffende Boot im Internet ganz genau an. Viele sind in Realität ziemlich kleiner, als sie im Prospekt oder auf der Website dargestellt werden. Und das ist entscheidend für eine beglückende (oder eben doch nicht so beglückende) Fahrt auf dem fast 270 km langen See, der bald, nach dem Ablegen, wie ein Meer erscheint und sich auch so «benehmen“ kann – d.h. man muss mit manchmal ziemlich massivem Wellengang rechnen. Auf unserer Tour schmiss einmal eine Welle, kombiniert mit einem Kurvenmanöver, in der geräumigen Lounge Tische und Stühle und anderes Mobiliar brutal herum. Und das im grössten Schiff auf dem See, der «Shikra». Ein kleineres Boot könnte wohl noch etwas härter angefasst werden. 

Fährt man auf diesem See, wird man immer wieder von Staunen erfasst: Was, so viel Wasser kann durch eine einzige Mauer gestaut werden? Östlich, in Kariba, erscheint die Mauer (rund 120 Meter hoch, mehr als 600 Meter lang) gewaltig – aber im Vergleich zum meerähnlichen See dann doch irgendwie spielzeugähnlich.

Dass durch das Aufstauen des Sees (1955 bis 1959) etwa 57 000 Menschen (mehrheitlich Angehörige der Ethnie der Tonga) zum Umsiedeln gezwungen wurden und dass sie den Ort der Verehrung ihres religiös verehrten Idols (eine Kombination von Schlange und Fisch) verloren, kümmerte die Ingenieure und Politiker der damaligen Zeit nicht. Man wollte Energie produzieren, tat das dann auch und tut es weiterhin. Den Umgesiedelten wurde Kompensation versprochen – glaubt man den Aussagen der Tongas jetzt, wurden diese Versprechen nicht erfüllt.

Aber die Tonga fanden, oh Wunder, doch eine Lösung für das Problem der im Wasser versunkenen religiösen Stätte. Und dieses Wunder kann für uns, die fröhlich in einem Schiff auf dem Gewässer fahrenden Reisenden, einen gewissen Trost bieten: wir dürfen ohne Schuldgefühle weiter fahren. Denn die Tongas stellten fest, dass sich aus dem riesigen See immer wieder einmal Wasserwirbel erheben, hoch hinauf sogar. Und diese Wirbel sind jeweils, das glauben sie fest, die Manifestation ihres göttlichen Wesens.

Dem werden jetzt, weiterhin, mit Früchten (manchmal auch mit Tieren) Opfer dar gebracht. Früher opferten sie junge Mädchen («me-too lässt grüssen…»), mit Vorliebe an den Klippen der Victoria Falls. Der Chef der jeweiligen Gemeinschaft soll dann, so wird überliefert, bei einer Stammesversammlung jeweils spontan drei Mädchen ausgewählt haben, die, als Opfer für die Gottheit, über die Felsen in den Tod gestürzt wurden. 

Der britische Missionar und Naturforscher David Livingstone soll diesem Brauch ein Ende gesetzt haben, wird weiter erzählt. Und so erfährt die von Weissen diktierte Kolonialgeschichte, wenigstens hier, doch noch eine positive Wende. Über die wir, beim Wandern entlang der Kante der Victoriafälle, nachdenken konnten. Auch darüber, ob sie der Wahrheit entspricht oder eher eine Mischung von Wirklichkeit und Fantasie ist.