Singapur

Singapurs Putzfrauen

von Milena Moser

Jede Nacht musste sie bis zwei, drei Uhr morgens mit Helen in der Küche Weisswein trinken. Felicia trinkt kaum Alkohol, verträgt ihn schlecht. Und ausserdem ist sie um diese Zeit sowieso todmüde. Sie muss anderntags wie jeden Morgen um fünf aufstehen, die Hausarbeit und die Betreuung von Helens Kinder warteten auf sie. «Es tut mir leid, Ma’am. Ich muss jetzt ins Bett», sagte sie irgendwann zu Helen, als sie es nicht mehr aushielt.

Dabei hatte es so gut begonnen. Helen und Tom, den Felicia nur «Sir Tom» nennt, haben fünf Kinder, drei davon im schulpflichtigen Alter. Lucy, die Jüngste, ist ein Jahr alt. Der vierjährige Morris ist autistisch und braucht spezielle Betreuung. Felicia besorgte den gesamten Haushalt: putzen, kochen, waschen, einkaufen. Sie betreute alle fünf Kinder, brachte die Älteren zur Schule, holte sie wieder ab, beaufsichtigte ihre Hausaufgaben. Die Schulleitung hatte Felicias Handynummer und E-Mail-Adresse als Kontaktinformation gespeichert.

Helen und Tom haben Felicia direkt von den Philippinen geholt, ohne die Vermittlung einer Arbeitsagentur.

«Ich war so glücklich darüber, ich habe mir gar nichts dabei gedacht.»

Felicia hat, wie die meisten Hausangestellten in Singapur, Kinder, die sie zu Hause zurücklassen musste. Sie werden jetzt von der Grossmutter aufgezogen. Ein Vertrag in Singapur bedeutet, dass sie zwei Jahre lang nicht zurück auf die Philippinen reisen kann. Dafür kann sie mehr Geld nach Hause schicken. Eine Stelle in Singapur ist deshalb für viele Südostasiatinnen etwas Erstrebenswertes.

Helen trank viel. Sie schlief bis zwei Uhr Nachmittags. Um sie nicht zu wecken, musste Felicia die Hausarbeit möglichst geräuschlos verrichten, die beiden kleinen Kinder ruhig halten. Felicia erfuhr, dass Helen zu unkontrollierten Wutausbrüchen neigte. Ihre Freundinnen erzählten ihr, dass Helen einer anderen Ma’am einmal bei einer Dinnerparty ein Glas ins Gesicht geworfen habe. Jetzt verstand Felicia auch, warum Toms Familie sie direkt importiert hatte: weil sie bei den Agenturen berüchtigt war. Und warum Helen abends mit ihrer Maid trinken musste: weil niemand mehr ihre Einladungen annahm. 

Foreign Domestic Workers dürfen nur Vollzeit arbeiten und müssen im Haushalt leben. Es wird empfohlen, ihnen wenn möglich ein abschliessbares Zimmer zur Verfügung zu stellen. Teure Wohnungen verfügen über einen maid’s room, meist in der Mitte der Wohnung.

In dem fensterlosen, nicht klimatisierten, zwei mal zwei Meter grossen Raum schläft die Hausangestellte auf einem Brett über der Waschmaschine und dem Tumbler. Wer nicht in einer neuen, teuren Wohnung lebt, bringt die Maid in der Küche unter, im Flur, irgendwo. Es wird ohnehin erwartet, dass sie vierundzwanzig Stunden zur Verfügung steht. 

«In dem fensterlosen, nicht klimatisierten, zwei mal zwei Meter grossen Raum schläft die Hausangestellte auf einem Brett über der Waschmaschine und dem Tumbler.»

Eine namenlos bleiben wollende Schweizer Bankersgattin gesteht, sich das Leben ohne ihre drei Nannies (eine für jedes Kind) und zwei Hausangestellte nicht mehr vorstellen zu können: Die fünf Angestellten kosten sie zusammen ungefähr so viel wie ein einziger nicht subventionierter Krippenplatz in der Stadt Zürich. 

Als ich Felicia zum ersten Mal traf, hatte sie gerade ihre Stelle bei Helen und Tom gekündigt. «Ich will aber nichts Schlechtes über sie sagen », begann sie unser Gespräch. Helen konnte die Abfuhr, die Felicia ihr erteilt hatte, nicht ertragen. «Es tut mir leid, Ma’am, aber ich kann nicht mit Ihnen trinken», sollte der letzte Satz gewesen sein, der zwischen den beiden Frauen fiel. Fortan kommunizierte Helen nur noch per SMS mit Felicia. Änderte ihre Aufträge minütlich, verlangte das Unmögliche. So sollte sie nachmittags um halb drei Helens Schlafzimmer putzen, genau dann, wenn sie die älteren Kinder von der Schule abholen musste. Sie sollte mit allen fünf Kindern etwas unternehmen und gleichzeitig die Schularbeiten der Älteren überwachen. Oft hetzte Felicia mit fünf Kindern von einem Geschäft zum anderen, immer neue SMS-Befehle befolgend.

Immer öfter weinte Felicia vor Erschöpfung, vor Verzweiflung. Sie beklagte sich bei Sir Tom, der sie um Geduld bat. «Wir wissen doch beide, wie sie ist!» Eine seltsame Komplizität entwickelte sich zwischen den beiden. Doch wenn es um ihren Wochenlohn ging, war Sir Tom nicht mehr Felicias Freund. Immer wieder bekam sie nur die Hälfte ihres Geldes: «Tut mir leid, ich war heute nicht bei der Bank.» Sir Tom arbeitet bei der Bank.

Weil Helen und Sir Tom die Wohnung im exklusiven Hochhaus gekündigt wurde, kauften sie ein Haus. Um dem Stress des Umzugs zu entgehen, flogen sie für vier Wochen nach Amerika. Vier Kinder nahmen sie mit, der kleine Morris blieb bei Felicia, die auch den ganzen Umzug organisierte, alles einund wieder auspackte, das neue Haus einrichtete.

Man hatte ihr zwar Metrokarten und Eintrittskarten für Vergnügungsparks zurückgelassen, aber nicht genug Bargeld. Nach drei Wochen gingen ihr die Lebensmittel aus. Nach vier Wochen meldete sich Sir Tom: sie würden noch zwei Wochen länger bleiben. Felicias Freundinnen brachten Lebensmittel und Reste vorbei. 

Im neuen Haus hat Felicia kein richtiges Zimmer mehr, sie schläft in einer Art Vorraum im Flur. Wer nachts hereinkommt oder hinausgeht, muss an ihrem Bett vorbei. Helen denkt sich neue Schikanen aus. So will sie mit den Kindern zu einem Vergnügungspark fahren. Im letzten Augenblick steigt sie aus dem Taxi, das Felicia dann von ihrem eigenen Geld bezahlen muss. Immer öfter beklagt sich Felicia bei Sir Tom. «Ich bin hier nicht glücklich », sagt sie. Sir Tom fleht Felicia an zu bleiben.

«Was würden wir ohne dich tun?»

Eines Tages reisst sie Morris, der gerade auf die Strasse rennen will, am Arm zurück. Der Junge beklagt sich bei seiner Mutter, Felicia habe ihn geschlagen. Helen droht mit einer Klage. Noch mehr als das trifft Felicia der Verrat des Jungen. 

Im Internet findet Felicia eine neue Stelle und kündigt. Helen beschimpft sie per SMS. Sie will sie gar nicht mehr sehen. Sir Tom wird wütend, er sagt, sie sei undankbar und illoyal und verweigert die Entlassungspapiere, ohne die sie die neue Stelle nicht antreten kann. Das Zurückhalten der Papiere ist so illegal wie Felicias Einreise. Schliesslich bekommt sie die Papiere – nicht aber ihr Geld. Sechs Wochenlöhne bleibt Sir Tom ihr schuldig. 

Als Felicia bei der neuen Familie einzieht, sieht sie, dass überall Überwachungskameras installiert sind, auch über ihrer Schlafstelle. Nach nur einer Woche geht sie. Jetzt ist sie offiziell ein schwieriger Fall. Sie ist jetzt seit zwei Wochen arbeitslos. Ihre Work Card läuft heute aus. Morgen früh wird sie ausgeschafft. 

Felicias Sohn hat Fieber. Seit einer Woche kommt und geht es. Es könnte Dengue-Fieber sein. Man weiss es noch nicht. Das Handy blinkt auf dem Tisch, Felicia schaut auf die Nachricht und lacht.

«Die Mädchen sagen, es sei langweilig ohne mich!»

Eine alte Frau räumt unser Tablett ab. Beim Eingang zur Metrostation trennen wir uns. Felicia umarmt mich kurz, dann verschwindet sie in der Masse. Draussen ist es dunkel geworden.



Die Einwohner Singapurs, dem reichsten Land dieser Welt, sind gemäss einer kürzlich durchgeführten Studie auch die unglücklichsten. 

Nicht gefragt wurden die meist aus den Philippinen stammenden Hausangestellten, die zwar in Singapur leben, aber weitgehend unsichtbar bleiben. Sie machen den Erfolg Singapurs erst möglich und erlauben es den europäischen und US-amerikanischen Expats, Beruf und Familie problemlos unter einen Hut zu bringen. 

Die Schriftstellerin Milena Moser kam in Kontakt mit einer dieser „Foreign Domestic Workers“ und liess sich von ihr exemplarisch die Sorgen und Probleme dieser oft als Haussklaven gehaltenen Frauen erklären. 

Der hier stark gekürzte Text erschien erstmals im Mai 2013 in der #10 von REPORTAGEN, dem Magazin, das die Nebenschauplätze dieser Welt beleuchtet. Sechsmal pro Jahr schreiben die Autorinnen und Autoren unerhörte, hervorragend erzählte und wahre Geschichten – journalistisches und erzählerisches Kopfkino pur! 

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